Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
sich ziehen können, sondern auch Wesen, die von ihr durchdrungen sind.«
»So hat der Dunkelmagiker Greschym es mir erklärt.«
»Hmm …«, sagte der Bruder. »Und das Wehr selbst ist zugleich der Quell, aus dem sich die Macht des Herrn der Dunklen Mächte speist.«
Er’ril nickte. Dieses Geheimnis hatte er Greschym bei ihrer letzten Begegnung entlocken können.
»Sind denn diese Portale der einzige Weg, um zum Wehr zu gelangen?«
»Greschym war offenbar dieser Ansicht. Er sagte, die vier Schwarzsteinstatuen seien irgendwie miteinander verbunden und dadurch entstünde ein Zugang zum Wehr.«
Bruder Ryn nahm seine Brille ab und sah zu Er’ril auf. Die Augen des alten Mannes waren weißlich verfärbt, aber durch die trüben Linsen strahlte eine wache Intelligenz. »Wäre es dann nicht ratsam, vor einem direkten Angriff auf den Herrn der Dunklen Mächte nach diesen vier Toren zu suchen und sie zu zerstören?«
Er’ril hielt dem Blick des alten Gelehrten stand. Was der Mann vorschlug, hörte sich so einfach und logisch an, aber es war unmöglich. Im Geiste sah er das Wyvern Tor vom Westturm der Burg abheben und mit seinem Bruder Schorkan nach Schwarzhall fliegen. Und was war mit den drei anderen? Niemand wusste, wo sie verborgen waren, und selbst wenn es gelänge, sie zu finden, wie sollte man derart monströse Gebilde zerstören?
Der Gelehrte kehrte endgültig zu seinem Pergament zurück. »Die Lösung heißt Wissen, Er’ril von Standi«, murmelte er dabei, als hätte er die Gedanken des Präriemannes gelesen.
Er’ril nickte und wandte sich zum Gehen.
Aber Bruder Ryn hatte noch einen letzten Rat für ihn. »Du brauchst lediglich den Schlüssel.«
Er’ril warf einen Blick über die Schulter. »Wie meinst du das?«
»Ich spüre seit zwei Wochen, dass ein Teil des Bildes noch fehlt. Sobald du ihn findest, wird sich vermutlich ein Weg auftun.«
»Was für ein Teil? Kannst du nicht etwas deutlicher werden?«
»Das einigende Element. Eine Tatsache, mit der sich die Tore, das Wehr und dieser Quell der Macht des Herrn der Dunklen Mächte zu einem in sich stimmigen Bild zusammenfügen lassen. Wir sehen nur die einzelnen Teile, aber das Gesamtbild erkennen wir noch nicht. Wenn es dir gelingt, dieses letzte Stück zu finden, wird sich alles klären.«
»Das ist leichter gesagt als getan, Bruder Ryn.«
»So ist es immer, wenn man nach Weisheit strebt«, gab der alte Gelehrte zurück und entließ Er’ril mit einer Handbewegung, als wäre er einer seiner Schüler. »Der Mond geht auf. Du musst zu deiner Hexe.«
Er’ril verneigte sich ein letztes Mal und strebte dem Ausgang der Bibliothek zu. Seine Hand lag auf dem Heft seines Schwertes. Für heute Abend hatte er genug vom Rätselraten. Es war an der Zeit, wieder den einfachen Paladin zu spielen. Elena hatte eine lange Nacht vor sich, und er wollte an ihrer Seite sein, wenn sie das Buch des Blutes öffnete.
Er’ril schlug sich die Sorgen aus dem Kopf und gelangte nach einem langen Marsch durch Gänge und über Treppen zum Westturm der Ordensburg, dem so genannten Hexenschwert. Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte er zum Turmzimmer hinauf, wo Elena schlief.
Bald schon spürte er ein leichtes Ziehen im rechten Bein. Dort hatte ihn die vergiftete Klinge eines Kobolds getroffen, als er Elena beschützen wollte. Der dumpfe Schmerz war geblieben wie eine böse Erinnerung. Auf halbem Wege protestierte das Bein so heftig, dass Er’ril langsamer werden und sich damit begnügen musste, Stufe für Stufe einzeln zu ersteigen.
In solchen Momenten spürte der Präriemann, dass er sterblich war. Als er Elena das Buch aushändigte, hatte er auch seine Unsterblichkeit auf sie übertragen. Nachdem der Zauber seinen Körper verlassen hatte, war er davon ausgegangen, dass sein Haar nun rasch ergrauen und die Gicht ihm die Glieder krümmen würde. Stattdessen alterte er so allmählich wie jeder andere Mensch auch. Wer ihn Tag für Tag sah, bemerkte es nicht. Doch wenn wie hier und jetzt sein Bein schmerzte, spürte er den Zahn der Zeit stärker als sonst. Seufzend setzte er den Aufstieg fort. Als er endlich das Ende der Treppe erreichte, waren seine Lippen zu schmalen Strichen zusammengepresst. Nur mit Mühe ging er, ohne zu hinken, auf die beiden Wachen zu, die vor der eisenbeschlagenen Eichentür postiert waren.
Die Soldaten standen stramm, als sie seiner ansichtig wurden.
»Wie geht es Elena?« fragte er.
Der Wächter zur Rechten antwortete. »Die alte Heilerin ist
Weitere Kostenlose Bücher