Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
hielt sich die Hand vor das Gesicht. Früher hatte es nie so gebrannt.
Als sie nur noch ein dumpfes Kratzen spürte, wagte sie die Lider zu öffnen. Sie hielt den Atem an und fürchtete schon, sie hätte sich geblendet. Aber es war nichts geschehen. Das Brennen war nur die Antwort des Wehrs auf ihre Magik gewesen.
Sie sah sich um. Die Magik ihres Blutes hatte ihre Sehkraft verändert und bescherte ihr völlig neue Eindrücke. Das Meer des Wehrs war immer noch dunkel, aber jetzt war es von leuchtenden Silberadern durchzogen. Die Ähnlichkeit mit Schwarzstein war nicht zu übersehen.
Doch diese Adern waren kein Silbererz. Elena kannte den Glanz. Sie hatte ihn bei Mikela, Kral und vielen anderen gesehen. Es war Elementarenergie. Staunend wandte sie sich hin und her. Es gab so viel davon. Die Linien umströmten sie auf allen Seiten.
Bald konnte sie ein Muster erkennen, das sich in die Finsternis des Wehrs hinein fortsetzte. Weit in der Ferne flossen die Adern zusammen und vereinigten sich zu immer dickeren Arterien. Sie kam sich vor, als stünde sie tief unter der Erde zwischen den Wurzeln eines silbernen Baumes, und über ihr verdickten sich die Wurzeln so lange, bis sie schließlich in den Stamm übergingen.
Ein Blick in die Runde zeigte ihr, dass es vier Bäume waren, von denen jeder in eine andere Himmelsrichtung zeigte. Das musste eine tiefere Bedeutung haben.
Vier Wehrtore, vier Schwarzsteinstatuen, vier Elementarquellen.
Sie schwamm auf den Baum zu, der ihr am nächsten war. Er wuchs in die Richtung, aus der sie kam. Sie streckte die Hand aus und wollte eine silbrig glänzende Ader berühren, aber nichts geschah. Ihre Hand glitt hindurch, ohne Schaden zu nehmen oder anzurichten.
Wieder hatte Elena eine Idee. Ihr Blut hatte ihr zu stärkerer Sehkraft verholfen. Ob es wohl noch mehr vermochte? Sie betrachtete den Finger, in den sie sich gebissen hatte. Der Blutfluss war noch nicht versiegt.
Sobald sie die Ader mit diesem Finger berührte, wurde sie fortgerissen. Wieder sah sie Er’ril und die anderen wie durch ein Fenster aus dunklem Glas. »Es muss eine Möglichkeit geben, sie zu befreien«, sagte Er’ril.
Sie war so überrascht, dass sie den Finger wegnahm. Und schon schwebte sie wieder neben der pulsierenden weißen Flamme. Die Ader war demnach eine direkte Verbindung zum Mantikor Tor.
Elena schwamm um die Flamme herum zum nächsten Baum und berührte eines seiner Würzelchen.
Wieder raste sie davon. Diesmal sah sie in einen dunklen Raum. Auf dem Boden stand ein offenes Becken mit brennenden Kohlen unter einem Gitter, das mit grotesken Tieren und Fantasiegestalten verziert war. Das Eisen des Gitters glühte rot. Dahinter waren ansteigende Sitzreihen zu erahnen: eine Art Amphitheater. In den Schatten verbargen sich Augen: heimliche Beobachter.
Eine Bewegung zog ihren Blick auf sich. Eine vermummte Gestalt führte ein nacktes, blondes Kind von etwa vier Jahren an der Hand. Dann warf die Gestalt ihre Kapuze ab. Ein erschreckend entstelltes Gesicht kam zum Vorschein. Die Züge wirkten, als seien sie zerflossen und wieder erstarrt. Elena stockte der Atem. Sie erkannte den Mann. Es war Schorkan, Anführer der Dunkelmagiker des Schwarzen Herzens und Er’rils Bruder.
Jetzt wusste sie, dass sie durch das Wyvern Tor schaute, jene Statue, mit der Schorkan aus A’loatal geflohen war.
Schorkan trat näher an das Becken. »In dieser schwarzen Nacht gelangt der Plan unseres Herrn, das Land auf seinem Amboss zu zerschlagen, zur Reife. Mit dem Untergang des Mondes schwindet die letzte Hoffnung der Welt. Lob und Preis dem Schwarzen Herzen!«
Von den dunklen Sitzreihen tönte es zurück: »Lob und Preis dem Schwarzen Herzen!«
Schorkan riss einen Arm in die Höhe. In der Hand hielt er einen Krummdolch mit gezackter Schneide. »Ein Opfer zu seinen Ehren! Ein unschuldiges Herz für seine Flammen!«
Elenas Blick richtete sich auf den verängstigten kleinen Jungen. »Nein!« rief sie aus.
Schorkan hielt inne, legte den Kopf schief und beugte sich mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen vor.
Elena erstarrte. Ob er sie sehen konnte? Oder spüren?
Doch schon schüttelte Schorkan den Kopf und richtete sich wieder auf. Er räusperte sich und hob abermals die Klinge. »Lob und Preis dem Schwarzen Herzen!« Der Dolch fuhr auf das Kind nieder.
Elenas riss ihre Hand zurück. Sie konnte das nicht mit ansehen.
Rasch glitt sie fort von diesem üblen Baum. Ihr Sicherheitsgefühl war erschüttert, sie fürchtete, sich
Weitere Kostenlose Bücher