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Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Titel: Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clemens
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entließ eine durchsichtige Lichtgestalt voll knisternder Energien, die aus dem Buch strömte und sich vor dem Nachthimmel entfaltete.
    Alle, die auf dem Dach versammelt waren, verfolgten gebannt, wie der Erscheinung im Licht des Mondes Gliedmaßen aus gesponnenem Licht wuchsen, Arme und Beine aus Mondstein. Sie streckte sich, als erwache sie aus langem Schlaf. In langsamer Drehung gewann sie an Substanz und nahm ein vertrautes Aussehen an. Die Besucherin betrachtete den vollen Mond an Elenas Himmel, dann ließ sie sich auf dem Turmdach nieder.
    Elena kannte den Geist, er war ihr so herzlich vertraut wie ihre eigene Hand. Alles war vorhanden: die strenge Miene, der schmale, von Pflichtbewusstsein geprägte Mund, die kleine Himmelfahrtsnase, sogar die Zöpfe, die unter einer Haube verborgen waren, damit keine Haarsträhne versehentlich mit dem Feuer des Backofens in Berührung kommen konnte. Nicht einmal die alte, verschlissene Schürze fehlte.
    »Tante Fila?«
    Der Geist wandte sich Elena zu, und sie sah sofort, dass die Ähnlichkeit nur äußerlich war. Hinter den kalten Augen leuchteten ferne Sterne, ihr Blick ließ uralte Sonnen zu Asche verbrennen. Es war, als hätte die Leere im Inneren des Buches Form und Substanz angenommen. Das war nicht Tante Fila, sondern ein fremdes Wesen, das zwar so aussah wie sie, aber nie unter dem Himmel dieser Welt gewandelt war.
    »Cho?« flüsterte Elena. So hieß der Geist unter der Maske, das Wesen aus Magik und Kraft, Licht und Energie, dem sie die Gabe der Blutmagik verdankte.
    Doch Cho reagierte nicht. Ihr Blick wanderte über die Versammlung auf dem Turmdach. Keiner sprach, aber es wich auch keiner zurück.
    Von so viel Tapferkeit ermutigt, fand auch Elena die Sprache wieder: »Abermals ist der Mond voll. Ich bitte dich, deine Weisheit mit uns zu teilen. Wir suchen deinen Rat.«
    Wieder hefteten sich die kalten Augen auf die junge Frau. »Ich spreche jetzt.« Die schlichten Worte hallten in der eisigen Zeitlosigkeit der Leere wider. Die Gestalt hob die Arme, legte den Kopf schief und betrachtete ihre Mondsteingliedmaßen. »Ich bin vereint mit der, die sich Fila nennt und die Brücke zu eurer Welt bildet. Sie hat mir von euren Reichen berichtet.«
    Elena richtete sich auf. »Dann kennst du unsere Not. Ein großes Übel hat uns befallen. Wir suchen einen Weg, es aufzuhalten, um wieder ungehindert mit Chi in Verbindung treten zu können.«
    »Chi …« Die Eisgestalt schien ein wenig aufzutauen. Die Stimme wurde eine Spur wärmer. »Ich spüre ihn. Er hüllt mich ein.«
    Elena senkte den Kopf. Sie hatte die Beziehung zwischen Chi und Cho nie ganz verstanden. Trotz aller Gegensätze waren die beiden ein Paar: Bruder und Schwester, Mann und Frau. Aber was sie zusammenhielt, waren nicht Familienbande, sondern etwas Umfassenderes. Naturgegeben wie das Verhältnis zwischen Sonne und Mond.
    Elena hob den Kopf. »Wir suchen noch immer nach Hinweisen auf den Verbleib deines … deines …« Elena konnte den Satz nicht vollenden. Was war Chi?
    Der Geist hatte wohl ihre Gedanken gelesen. Die Spur von Wärme am Rand der Leere blieb erhalten. »Bruder … Du kannst ihn meinen Bruder nennen.« Ihre Blicke begegneten sich, und plötzlich erkannte Elena die tiefe Schwermut in den kalten Augen. Obwohl dieses Wesen zwischen den Sternen wandelte und ganz anders lebte als alles, was sich auf festem Boden bewegte, war ihr das Gefühl nur zu vertraut: Trauer um einen Verlust. Es erinnerte sie an ihren eigenen Schmerz damals auf Winterbergs Straßen, als man ihren Bruder Joach entführt hatte. Sie konnte den Geist zwar nicht verstehen, aber sie kannte seine Qualen, denn sie hatte sie am eigenen Leibe erfahren.
    »Bei uns sind viele Gelehrte und weise Männer eifrig mit der Suche nach deinem Bruder beschäftigt«, sagte Elena tröstend. »Wir werden ihn finden. Aber eine böse Macht hat unsere Welt im Würgegriff, wir sind in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und müssen uns verstecken. Wenn wir erst von dieser Macht befreit sind, können wir auch die Suche nach …«
    »Nein!« Gestalt und Stimme wurden erneut eisig. »Die böse Macht ist nicht von Belang! Ihr werdet Chi finden.«
    »Wir tun, was wir können, aber …«
    »Nein! Ich spüre den Schmerz meines Bruders, er zerfrisst mich. Ich höre, wie er mich ruft.« Die Mondsteingestalt strahlte eine so tiefe Kälte aus, dass die Steine der Brüstung Risse bekamen. »Chi muss gefunden werden! Sofort!«
    Unter den Zehen des Geistes breitete

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