Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Ausgeblichen von der Sonne, zerfressen von Raben und Krähen, waren die abgeschlagenen Häupter kaum mehr als weiße Totenschädel. Kral mit seinen scharfen Augen konnte mehr von dem grausigen Zierrat erkennen. Alle Mauern waren, Terrasse für Terrasse, mit solchen Trophäen bestückt. Tausende und abertausende.
Er wandte sich ab. Die Großkatze in seinem Inneren witterte Blut und Angst und regte sich. Kral zähmte sie mit einem Versprechen. Eines Tages würde er jeden dieser Schädel durch einen Zwergenkopf ersetzen.
Er folgte den anderen durch das Tor und den Innenhof und brachte den Prinzen in seine Stammburg zurück.
Auf der anderen Seite des Hofes erhob sich der Bergfried. Das steinerne Eingangstor lag in Trümmern. Davor war der glatte Felsboden übersät mit Brandspuren und Schlaglöchern, Zeugnissen heftiger Kämpfe und der Wirkung zerstörerischer Magik.
Hauptmann Brytton blieb vor den Stufen stehen, die in den Bergfried führten, und zeigte auf eine offene Tür an einer Seite. Dahinter führte eine Treppe in die Tiefe. »Bringt die Gefangenen nach unten. Schließt sie ein.«
Der Leutnant nickte und trieb Kral und die anderen mit vorgehaltenem Schwert in den Schacht.
Der schmale Gang zu den Burgverliesen bot Krals breiten Schultern kaum genügend Raum. Gebückt stieg der Mann aus den Bergen die Stufen hinab. Die Granitmauern nahmen ihn auf. Obwohl er als Gefangener hier war, hatte er ganz stark das Gefühl, nach Hause zu kommen. Die Magik im Stein erfasste ihn und weckte in ihm die Erinnerung an seinen Stamm. Sogar Tyrus wurde in seinen Armen ruhiger und schien aus den endlosen, qualvollen Albträumen in einen heilenden Schlummer hinüberzugleiten.
Die lange Treppe mündete in einer großen Wachstube, wo fünf Zwerge um einen Tisch aus grob behauenem Kiefernholz vor den Resten einer Mahlzeit saßen. Kral erkannte ein säuberlich abgenagtes menschliches Schienbein und fühlte sich abgestoßen, doch zugleich begann tief in seinem Inneren ein Teil von ihm gierig zu knurren.
Der Leutnant brummte etwas in seiner Muttersprache, und einer der Zwerge stand auf und holte einen Schlüsselbund. Dann wurde die Gruppe durch eine dicke Holztür in einen langen Gang mit vergitterten Zellen geführt. Es roch nach Exkrementen, Urin, verbranntem Fleisch und Blut.
Ni’lahn rümpfte angewidert die Nase.
Als sie an den Zellen vorbeikamen, blickten die Insassen mit matten, hoffnungslosen Augen auf. In einem Käfig war ein übel zugerichteter Mann an die Wand gekettet, der anstelle der Beine nur noch verkohlte Stümpfe hatte. Einer der Zwergensoldaten stieß seinen Kameraden lachend in die Seite und leckte sich die Lippen. Kral sah wieder das Schienbein auf dem Esstisch vor sich und erschauerte.
Sie wurden bis ganz ans Ende des Ganges geführt. Dort schloss ein Soldat die Tür zur größten Zelle auf, man stieß sie hinein, dann wurde die Tür mit lautem Klirren wieder zugeschlagen und abgesperrt.
Kral legte Tyrus auf den strohbedeckten Steinboden. Der Leutnant trat ganz dicht an die Gitterstäbe heran. »Bilde dir bloß nicht ein, du wärst jetzt in Sicherheit, Mann aus den Bergen. Ich werde mich schon noch satt trinken an deinem Blut.«
Kral hatte jetzt die Arme frei und ließ, flink wie ein Panther, die Faust nach hinten schnellen. Der Leutnant war zu langsam. Unter Krals Knöcheln krachten die Knochen, und das Blut des Leutnants spritzte ihm über die Hand.
Der Leutnant schrie auf und fiel rücklings zu Boden.
Kral drehte sich langsam zu ihm um. Dann hob er ohne ein Wort die Faust an den Mund und leckte das Blut des Zwergenoffiziers ab.
Der Leutnant kam wieder auf die Beine und stürzte sich auf das Gitter. Die Nase, ein blutiger Fleischklumpen, stand ihm schief im Gesicht. »Dafür fresse ich dein Herz, Gebirgler! Hörst du mich?«
Kral leckte sich noch einmal die Hand. Dann drehte er sich auf dem Absatz um, ohne das Gezeter des Zwergs zu beachten. Seine Gefährten starrten ihn an. Mogwied war vor Staunen die Kinnlade heruntergeklappt.
Der Leutnant wurde von seinen Kameraden weggeführt.
»War das klug, Kral?« fragte Ni’lahn. »Was nutzt es uns, wenn wir sie reizen?«
Er zuckte die Achseln.
Zu weiteren Diskussionen kam es nicht, denn der Prinz stöhnte laut auf. Ni’lahn kniete neben ihm nieder und nahm seine Hand. Tyrus hob die andere Hand und strich sich mit den Fingern über das Gesicht wie ein Blinder. Wieder löste sich ein Stöhnen von seinen Lippen.
»Meister Tyrus«, flüsterte
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