Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Drachen auf der anderen Seite. Sie wollte ihm das Gesicht zerkratzen, aber ihre Nägel waren so kurz und stumpf, dass er nichts spürte.
»Saag wan«, murmelte er.
Langsam wich die Spannung aus ihren Fingern. Die kalte Haut erwärmte sich unter seiner Berührung. Ganz schwach spürte er, wie seine Liebe erwidert wurde, wie ein zweites Herz das Feuer schürte.
»Wir haben uns nicht verloren, auch jetzt nicht.« Seine Stimme war nur ein Hauch. »Man hat uns nichts genommen, was irgendwie von Bedeutung wäre.« Er drückte ihre Hand fester an sein Gesicht. »Nur darauf kommt es an. Du und ich das ist ein Gefühl von solcher Reinheit, dass es durch nichts zerstört werden kann.«
Endlich fühlte er ihre Wärme. Vom Bett her kamen leise Worte. »… liebe dich …«
Kast drückte ihre Hand, zog sie an die Lippen und küsste die Innenfläche mit einer Leidenschaft, unter der alles schmolz außer seiner Liebe. Die Zeit dehnte sich. Der Augenblick brannte sich ein in ihrer beider Seelen, ein Kraftquell für die schweren Zeiten, die ihnen noch bevorstanden.
Saag wan …
Plötzlich entstand vor der Tür ein Aufruhr, der ihn aus seiner Versunkenheit riss. Aufgeregte Stimmen waren zu hören, der durchdringende Schrei eines kleinen Mädchens.
Kast richtete sich auf. Klauenfinger fuhren auf seine Augen zu. Er drückte Saag wans Arm unerbittlich nieder und band ihn wieder am Bettpfosten fest.
Draußen wollte das Geschrei nicht verstummen, nun gesellte sich auch noch der wütende Protest eines kleinen Jungen dazu. Ärgerlich ging Kast zur Tür und schlug mit der Faust gegen den Eichenrahmen. »Ihr könnt aufmachen.«
Das Schloss scharrte, Holz schabte über Holz, als der Riegelbalken entfernt wurde, die Tür drehte sich mit lautem Quietschen in den Angeln.
Zwei Elv’en standen vor den beiden De’rendi Gardisten. Jeder der feingliedrigen Matrosen hielt ein Kind am Arm fest.
Kast sah die beiden erschrocken an.
Das Mädchen hatte ihn sofort erkannt. »Onkel Kast!«
»Scheschon?« Kast beugte sich zu ihr. »Wie kommst du denn hierher?« Er hatte die Kleine in der Obhut ihrer Kinderfrau Mader Geel auf der Insel zurückgelassen.
»Wir haben uns auf das Schiff geschlichen«, sagte Scheschon. »Ich habe mich in einem Apfelfass versteckt. Er war in einer Kiste.« Sie zeigte auf ihren Begleiter. Es war Rodricko, Ni’lahns kleiner Junge. Er hatte die Augen weit aufgerissen, und seine Unterlippe zitterte. Er kämpfte mit den Tränen.
Einer der Elv’en sagte: »Kapitän Lisla hat die beiden im Frachtraum gespürt und uns befohlen, alles nach blinden Passagieren abzusuchen.«
Kast bedeutete den Matrosen, die Kinder freizugeben. Er kniete neben Scheschon nieder, legte den Arm um den Jungen und zog ihn an sich. »Warum habt ihr euch an Bord geschlichen?«
Scheschon sah ihm über die Schulter, kniff die Augen zusammen und streckte den Arm aus. »Tante Saag wan … ist sie krank?«
Kast warf einen Blick hinter sich. Die Kabinentür stand noch offen. Stirnrunzelnd winkte er Narn, sie zu schließen und abzusperren, bevor er sich wieder dem kleinen Mädchen zuwandte. »Es geht ihr gut, mein Kleines. Aber sie braucht Ruhe.«
Scheschon nickte verständnisvoll. »Sie hat Würmer im Kopf.«
Kast war verblüfft. Er wusste, dass Scheschon wie ihr Großvater über die Rajor Maga verfügte und in vielem über den Horizont sehen konnte; dennoch fand er es immer wieder unheimlich, wie sich ihr Scharfblick mit kindlicher Einfalt paarte. Er legte ihr den Finger unter das Kinn und versuchte sie abzulenken. »Scheschon, was willst du hier?«
Sie senkte die Stimme und flüsterte geheimnisvoll: »Hant braucht mich.«
Kast seufzte. Nach dem Unglück in der Burg hatte er ihr erklärt, Hant wäre lediglich für eine Weile fortgegangen. Aber er hätte wissen müssen, dass ihm ein Kind mit solchen Fähigkeiten diese Lüge nicht abnehmen würde, schon gar nicht, wenn dieses Kind durch eine uralte Magik mit Hant verbunden war.
»Wir suchen doch schon nach ihm«, sagte er. »Aber du hättest nicht weglaufen dürfen. Mader Geel wird sich zu Tode ängstigen.«
»Ich musste mitkommen. Hant braucht mich.«
»Und was hat Rodricko hier verloren?« fragte Kast.
»Er musste auch mitkommen. Er wollte erst nicht, da habe ich ihm versprochen, dass ich ihm ein Pferdchen schnitze, wenn er nicht weint.«
»Und ich habe nicht geweint!« platzte Rodricko dazwischen.
»Aber beinahe.«
Kast schüttelte den Kopf. Die beiden Kinder wirkten erschöpft. Ihre Augen
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