Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
stummem Schmerz. »Ich lag im Sterben, Rauch und Asche drohten mich zu ersticken. Ich geriet in Panik … Ich rief meine Kinder zu mir …« Er schwieg lange. Endlich flüsterte er kaum hörbar: »Sie kamen, weil sie sich fürchteten und wie alle Kinder Trost bei ihrem Vater suchten. Doch ich war blind für ihre Liebe und ihr Vertrauen. Ich hatte Angst … Ich kämpfte um mein Leben und entriss ihnen das ihre. Der arme Raal blieb als Letzter übrig. Er sah, wie ich die anderen verschlang, um dem Tod zu entgehen, doch er ergriff nicht die Flucht. Er kam ganz selbstverständlich in meine Arme. Er drückte seine Wange an die meine. Und ich tötete auch ihn.«
Jetzt verstand Tyrus, was mit der Seele des Mannes geschehen war: Sie war unter der Last seiner Schuldgefühle zerbrochen.
»Und wofür das Ganze?« schloss der blonde Mann. »Um in einem Grab aus Stein durch die Welt zu wandeln. Nur damit alles, was ich berührte, so kalt und hart wurde wie mein Herz. Es war zu viel.« Seine Schultern zuckten, aber es kamen keine Tränen.
»Quäle dich nicht. Es waren schreckliche Zeiten. Die Entstehung Schwarzhalls mitten im eigenen Land hätte jedem das Herz zerrissen.«
Eine Hand tastete nach seinen Fingern und drückte sie. Kein Wort des Dankes war zu hören, aber Tyrus verstand auch so. Lange verharrten die beiden in dieser Stellung.
Dann sagte der blonde Mann mit schwacher Stimme: »Es ist nun Zeit, den Weg zu gehen, der mir schon vor langer Zeit bestimmt war. Und meine Magik stirbt mit mir.« Er verstummte. »Doch zuvor …« Tyrus spürte, wie ein Schlag durch seine Hand ging, als das Leben aus dem Mann wich. »… ein Geschenk.«
Erschüttert starrte er in das bleiche Antlitz. Es war starr und reglos, aber es war nicht mehr das einer Statue. Der Magus hatte im Tod den Weg zurück ins Leben gefunden.
Tyrus stand auf. Er schüttelte traurig den Kopf, verließ die düstere Gruft und trat hinaus in die letzten Strahlen der Sonne.
Von der Tür aus beobachtete er, wie sich die versteinerte Landschaft in Gras, Erde und stacheliges Gestrüpp zurückverwandelte. Der Bann des Magus löste sich tatsächlich auf. Tyrus schöpfte neue Hoffnung und betete darum, dass diese Wirkung auch anderswo einträte. Würde der Tod des Magus seinen Freunden und dem Zwergenheer die Freiheit zurückgeben?
Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
Tyrus stieg über die Trümmer der Eichentür und entdeckte dabei das kleine Blümchen in seiner Ritze. Wie das Gras war es wieder zur Pflanze geworden, die grünen Blätter und die gelbe Blüte leuchteten aus dem Schutt hervor. Tyrus bückte sich und pflückte es.
Sofort färbten sich zuerst der Stängel, dann die Blätter und schließlich auch die Blüte schwarz. Einen Herzschlag später hielt er nur noch ein granitenes Abbild in der Hand. Entsetzen erfasste ihn, und er ließ die Blume fallen.
Sie zerbrach in tausend Stücke.
Nun fielen ihm die letzten Worte des Magus wieder ein.
Doch zuvor … ein Geschenk.
Saag wan flog auf Ragnar’ks Rücken durch die neblige Nacht. Sie schloss die Augen, denn so konnte sie das Gefühl der Freiheit und die Weite des Himmels besser genießen. Als man sie an Deck holte, hatte sie, besessen von der Bosheit in ihrem Schädel, gefaucht und mit Flüchen um sich geworfen. Doch wie schon einmal hatte Kast ihr wahres Ich so weit hervorgelockt, dass sie den Drachen freisetzen konnte.
Auf seinem Rücken, mit ihm vereint durch die Bande der Magik, war sie wieder sie selbst. Meister Edyll hatte ihr von dem schaurigen Boot dem Knochenschiff erzählt, das sie verfolgten.
Unter Hants Führung raste das dämonische Gebilde mit den Besessenen der Flotte hinterher. Sie wollten die Schiffe mit ihrer Verderbnis anstecken. Das galt es zu verhindern.
Saag wan und Ragnar’k sollten das Schiff auskundschaften, indes die Rabenschwinge hoch oben in den Wolken blieb und auf ihr Zeichen wartete, um zum Angriff herabzustoßen. Blutreiter und Elv’en Krieger machten sich zum Sturm bereit.
Saag wan schlug die Augen auf. Unter ihr schoss das fahle Schiff durch die Wellen. Sie glaubte sogar, im Rauschen des Windes leise Schreie zu hören. Das Schiff hinterließ ein Kielwasser der Angst, in dem das Böse mit Händen zu greifen war. Durch die Magik ihres Drachen wurde die Wirkung gedämpft und entschärft. Dennoch überlief sie ein leiser Schauer.
Ragnar’k sprach aus, was sie empfand. Ein fürchterliches Schiff, grollte er.
Saag wan widersprach ihm nicht. Das grausige
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