Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Fleisch. Er musste an das Schicksal der Waldratte denken. Angenommen, sie stürzten sich auf ihn, wie weit käme er wohl, bevor sie ihn niederrängen?
Der gehörnte Wolf stolzierte mit hoch erhobener Schnauze aus der Horde hervor, zog die grauen Lefzen zurück und fletschte die grauen Zähne.
»Warum kann ich mich nicht befreien?« heulte Raal.
Tyrus musste die Unterstützung des Königs der Fai ne gewinnen, sonst war er verloren. »Der Bann, den du gewirkt hast, muss vielschichtiger gewesen sein. Du sagst ja selbst, dass die Energien deiner Geschöpfe durch Schwarzhalls Entstehung entstellt wurden. Das Blut der Fai ne ist wohl nicht stark genug, um diesen Bann zu brechen.«
Raal brüllte vor Verzweiflung. Die Fai ne erkannten in Tyrus den Urheber der Not ihres Herrn und drängten auf ihn zu.
Tyrus streckte sein Schwert aus. Der kleine Wolf sprang ihn an, aber er stieß ihn mit dem Fuß beiseite. »Es könnte einen Weg geben!« rief er. »Eine Möglichkeit, um auch dich zu befreien!«
Das Geheul riss ab, auch die Schreie der Fai ne verstummten. Tiefe Stille legte sich über den Raum. Die Horde wich zurück.
Die steinerne Gestalt erstarrte gebückt unter der Last von Jahrhunderten der Einsamkeit und des Wahnsinns. »Wie?«
Tyrus sprach ganz langsam. »Wenn es überhaupt eine Lösung gibt, dann nur, wenn Raal und der Magus mich beide anhören. Zu zweit habt ihr den steinernen Kerker geschaffen. Zu zweit müsst ihr euch auch wieder daraus befreien.«
Die Gestalt verharrte noch einen Augenblick in ihrer Erstarrung, dann nickte sie. »Wir hören.«
Tyrus schluckte. Er hatte keinen fertigen Plan, er hatte nur versucht, das Unvermeidliche hinauszuschieben, indem er leise Hoffnungen weckte. Jetzt hieß es rasch denken. Zunächst musste er für ein Klima der Vernunft sorgen. Hier kam er weder mit dem tobenden Raal noch mit dem von Schwermut gelähmten Magus weiter. Was er brauchte, lag zwischen dem kalten Stein des Magus und Raals loderndem Feuer.
Bei dem Gedanken stutzte er. Natürlich!
Er sah sein Gegenüber mit neuer Entschlossenheit an. »Der Magus kann Fleisch in Stein verwandeln. Raal kann dem Stein Leben einhauchen. Zwei Seiten der gleichen Magik!«
Wieder dieses langsame Nicken.
»Und wenn nun jeder von euch zur gleichen Zeit wie der andere seinen Bann wirkte?«
Ein Stirnrunzeln. »Würden sie sich nicht einfach gegenseitig aufheben?« Die bleierne Hoffnungslosigkeit des Magus hatte die Oberhand.
»Nicht, wenn ihr den Bann gegen euch selbst richtet!«
»Unmöglich!« Der hitzige Protest kam eindeutig von Raal. »Wozu sollte das gut sein?«
Tyrus ließ sich nicht beirren. Hier handelte es sich nicht um zwei Seelen in einem Körper, sondern um eine Spaltung der Seele und folglich auch um eine Spaltung der Magik. Wenn es ihm gelänge, die Teile wieder zu einem Ganzen zu fügen … wenigstens für einen Moment … »Was könnte ein Versuch schaden?« fragte er zurück.
Die Stille war bedrückend. Endlich bewegten sich die Lippen. »Was sollen wir tun?« fragte der Magus mürrisch.
»Das sind doch Albernheiten«, kam es gleich darauf scharf und ungeduldig aus dem gleichen Mund. Die Fai ne wurden unruhig und begannen aufgeregt zu schnattern und sich zu balgen. Sie waren so uneins wie ihr Herr.
Tyrus wartete einen Moment, ehe er erklärte: »Ich möchte, dass der Magus einen Steinbann gegen euch richtet, während Raal im gleichen Augenblick den Stein in Fleisch zurückverwandelt.« Er hielt kurz inne, dann betonte er das Wichtigste noch einmal. »Es muss genau gleichzeitig geschehen … auf mein Zeichen!«
Die Statue starrte ihn an. Zweifel und Drohung lagen in ihrem Blick. »Wir werden es versuchen.«
Tyrus hob den Arm. Er war sich seiner Sache keineswegs sicher, dennoch suchte er Zuversicht zu verbreiten. »Ich zähle von fünf rückwärts. Bei eins lasse ich die Hand sinken und zeige auf euch. Dann müsst ihr beide handeln.«
Er bekam keine Antwort, nur einen misstrauischen Blick aus schmalen Augen.
»Fünf … vier …« Er betete darum, dass sich der Knoten entwirren ließe, wenn beide Hälften der einen Seele zusammenarbeiteten und jede einen Bann sprach, der dem jeweils anderen entgegenwirkte, »… drei … zwei …« Aber was würde dabei herauskommen? Er konnte nicht ausschließen, dass alles noch schlimmer wurde. Doch er hatte keine andere Wahl. »… eins …«
Er zeigte auf die Statue.
Zunächst geschah gar nichts. Die Gestalt stand totenstill.
Dann begannen die Finger und Zehen zu
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