Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
anderen. Die Mer’ai unterwiesen sie im Gebrauch der Luftschoten, dann hob Hant den Arm zum Gruß, die beiden Seedrachen schwammen in tieferes Wasser und tauchten unter.
Saag wan verwahrte die Knospe in einer Tasche ihres Anzugs und trat zu Kast. »Für uns wird es auch Zeit.«
Wieder überkam ihn die Sehnsucht, sie in den Armen zu halten, doch der Donner war immer noch zu hören, und nun gesellten sich das Krachen aufschlagender Felsblöcke und die Signale der Kriegshörner dazu. Auf den De’rendi Schiffen waren die Katapulte in Betrieb worauf mochten sie schießen?
Saag wan kletterte auf Kasts Rücken und drückte die Beine fest an seinen Hals. Durch den dünnen Anzug und seine dicken Schuppen spürte er die Wärme ihrer Haut. »Bist du bereit?« flüsterte sie.
Ein Grollen kam aus seiner Brust.
»Dann flieg, mein Drache, flieg.«
Er beugte die Beine, stieß sich kraftvoll ab und schwang sich in die Lüfte. Stürmische Begeisterung erfasste sie und übertrug sich über die Verbindung von der Reiterin zum Drachen auch auf ihn. Saag wan legte sich auf seinen Hals, ihre Wärme drang in sein Herz, ihre Empfindungen verschmolzen mit den seinen.
Zwei Körper wurden eins. Ob es bei Ragnar’k auch so gewesen war? Kein Wunder, dass der Drache sie so sehr geliebt hatte.
Kast schraubte sich, einen Aufwind nutzend, spiralförmig nach oben. Die Welt lag offen vor ihnen.
Im Westen entdeckte er fünf der Donnerwolken. Vom Kiel eines Schiffes fuhr ein Blitz nach unten, aber er flog noch nicht hoch genug, um sehen zu können, wo er einschlug. Eine Flanke des Berges versperrte ihm den Blick auf die Hafenanlagen.
Die De’rendi Flotte lag im Süden jenseits der Felsen der Krone. Ihre Kriegsmaschinen schleuderten mit lautem Schwirren Steine und brennende Pechfässer über das Riff hinweg an die schwarze Küste. Kleinere Schiffe flitzten durch die Lücke in der Krone und bezogen, angeführt von einem Seedrachenschwarm, Position im Inneren der Lagune.
Wogegen kämpfen sie denn?, fragte Saag wan, ein Echo seiner Gedanken.
Er stieg höher und glitt an der Bergflanke vorbei. Der belagerte Südhafen rückte in sein Blickfeld.
Der Parasit im Tor hatte tatsächlich sein Versteck verlassen und sich ins Freie gewagt. Saag wan stockte der Atem.
Die ölige Schwärze wälzte sich über die schäbigen Gebäude der kleinen Stadt, strömte, eine lebende Flut, durch die Straßen, teilte sich in tausend Äste, kroch über Hafenmauern und Landungsbrücken und ergoss sich schließlich in die trüben Fluten der Lagune. Schon war das Ungeheuer über die Hälfte der Küste und im Wasser verteilt.
Und immer noch quollen neue Massen aus dem Tor.
»Was ist das?« fragte Saag wan.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Ein Zucken durchlief die Masse, und ein Heer löste sich aus der Schwärze: Menschen, Tiere und Monster schüttelten die Finsternis ab und traten, Ausgeburten der öligen Bestie, ins Freie. Nur durch dünne Fäden blieb jeder Soldat mit seinem Herrn verbunden.
In der Lagune tauchten hunderte von Schiffen, in Unmengen von schwarzen Fäden verstrickt, aus den wässrigen Tiefen auf. Auf algenüberwucherten Decks erstanden tote Männer an langen schwarzen Schnüren: auch sie Sklaven des gleichen Herrn.
»Das Heer der Toten«, murmelte Saag wan entsetzt.
Doch es kam noch schlimmer. Inmitten der schwarzen Lagune entstieg ein weiteres Schiff seinem nassen Grab, sein Rumpf war eingedrückt, der Kiel zerbrochen. Kast erkannte die fehlende Donnerwolke. Sie wurde jedoch nicht auf dem elementaren Licht ihres Kiels, sondern auf einem grotesk verdrehten Pfeiler aus öliger Schwärze nach oben getragen. Auch auf ihren Decks richteten sich Matrosen langsam auf: Elv’en mit schwarzen Fesseln, ebenfalls zu Sklaven geworden.
»Wie sollen wir ein Heer besiegen, das schon aus Toten besteht?«
Am Ufer ergoss sich ein Strom von Kreaturen aus dem schwarzen Inneren des öligen Wesens, allesamt Geschöpfe Schwarzhalls, Sklaven der Finsternis: ein Heer, das einem einzigen Willen gehorchte.
Und das Tor spie immer neue Ströme der Verdammnis aus.
Saag wan fasste in Worte, was Kast dachte: »Wir sind verloren.« »Beeilt euch, Männer!« rief Tyrus, der seine Stute über das letzte Stück der Schwarzen Straße trieb, und wagte es, sich kurz umzusehen.
Der Tunnel aus versteinerten Zwergen reichte über den ganzen Vulkanbogen. Schuss, Schlag und Blott folgten ihrem Käpt’n. Ihre Pferde hatten Schaum vor dem Maul und verdrehten die Augen.
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