Alaska
Denver anrief, und der schließlich erklärte: »Anchorage hinkt zwei Stunden hinterher. Wir haben jetzt neun Uhr, dann ist es drüben gerade sieben Uhr.«
Kaum hatte sich Miss Deller wieder hingesetzt, sagte Kendra zu ihrem Erstaunen: »Ich rufe jetzt sofort an. Vielleicht ist er noch nicht aufgestanden, aber zu Hause ist er bestimmt.«
»Wen wollen Sie anrufen«, fragte Miss Deller, und Kendra hielt ihr den Notizzettel hin, den sie mitgebracht hatte: Vladimir Afanasi, 907-851-3305.
»Sind Sie verrückt?« rief Miss Deller, und als Kendra auch noch entgegnete: »Vielleicht«, winkte die Bibliothekarin Dennis Crider herbei, der gerade den Speisesaal betrat: »Was haben Sie mit dieser jungen Frau angestellt? Gestern war sie noch völlig normal.« Und als er hörte, was Kendra vorhatte, sagte er nur: »Die ist ja übergeschnappt. Es ist mitten in der Nacht da oben.«
»Es ist sieben Uhr morgens, und ich werde jetzt Mr. Afanasi anrufen.« Damit ging sie zum Fernsprecher, warf eine Münze ein, wählte die Null und sagte mit sehr kontrollierter Stimme: »Ein privates R-Gespräch bitte, nach Alaska«, worauf sie die Nummer durchgab. Nach weniger als einer Minute ertönte am anderen Ende eine tiefe, rauhe Stimme: »Hallo, Vladimir Afanasi am Apparat.«
»Ich rufe wegen der Stelle als Lehrer an«, sagte Kendra, und sie brauchte die ganzen folgenden fünf Minuten, um ihre Referenzen zu benennen und eine Liste der Leute, an die sich Mr. Afanasi wenden könne, wenn er sie bestätigt haben wollte. Dann stand sie staunend da, mit offenem Mund, während Afanasi ihr mit wohlüberlegten Worten erklärte: »Bevor wir uns weiter unterhalten, muss ich Ihnen mitteilen, dass ich nicht berechtigt bin, Ihnen konkrete Angebote zu machen. Das ist Sache des Superintendenten in Barrow, aber da ich Vorsitzender der Schulbehörde bin, kann ich Ihnen schon einmal versichern, dass es sich so anhört, als wären Sie genau die, nach der wir suchen. Sie haben die Angaben also gelesen?«
»Ich kenne sie auswendig.« An dieser Stelle brach Afanasi in Lachen aus, aber dann schloss er mit der erstaunlichen Bemerkung: »Miss Scott, ich glaube, der Superintendent wird Ihnen noch heute Nachmittag eine Stelle anbieten.«
Sie deckte das Mikrofon im Hörer mit der flachen Hand ab, drehte sich um und sagte: »Mein Gott! Er bietet mir einen Job an!«
Dann folgten zwei Fragen, auf die sie nicht vorbereitet war. »Haben Sie irgendwelche Verunstaltungen im Gesicht? Irgendeine Behinderung?«
Sie begrüßte die Fragen, schon wegen der Ehrlichkeit. »Wenn ich behindert wäre, leicht behindert, würden Sie mich dann auch nehmen?«
»Wenn Sie zurechtkämen, mehr oder weniger, wäre das völlig egal.«
»Ich will die Stelle, Mr. Afanasi. Ich bin nicht behindert, und ich habe auch kein entstelltes Gesicht. Ich bin ein ganz normaler Mensch in jeder Hinsicht, und ich liebe Kinder.«
»Schicken Sie mir zwei Passfotos zu, und bitten Sie Ihre alten Professoren von der Brigham-Young-Universität um Referenzen - übrigens haben die ein verdammt gutes Footballteam -, und auch Ihren Schuldirektor und Pfarrer, sie sollen sie mir so schnell wie möglich zuschicken. Wenn alles stimmt, was Sie sagen, bin ich sicher, wird Ihnen der Superintendent eine Stelle anbieten. Sie wissen, wie hoch das Gehalt ist?«
»Sechsunddreißigtausend. Hört sich enorm an.«
»Bewerben Sie sich deswegen?« Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern fuhr gleich fort: »Für den einfachen Hamburger ohne Zwiebel und Käse zahlen Sie im einzigen Restaurant von Barrow sieben Dollar fünfundachtzig. Chili, mit wenig Sauce, kostet hier achtzehn fünfzig.« Die Preise verschlugen ihr die Sprache, und er sagte: »Aber bei Ihrer Erfahrung hätten Sie Anspruch auf ein Gehalt von vierundvierzigtausend Dollar, und das werde ich dem Superintendenten auch vorschlagen.«
Sie biss sich auf die Lippen, damit sie nicht irgendeine Dummheit von sich gab, dann sagte sie leise: »Mr. Afanasi, ein Empfehlungsschreiben von meinem Pastor kann ich Ihnen nicht zuschicken. Er würde sich sofort mit meiner Mutter in Verbindung setzen und alle anderen zu Hause dazu bringen, mich in die Mangel zu nehmen, damit ich dableibe.«
»Sie haben Ihrer Mutter noch nicht Bescheid gesagt?«
»Nein. Und ich werde es auch nicht, bis alles sicher entschieden ist.«
Es folgte eine lange Stille i n der Telefonzelle, und an Ken dras Gesichtsausdruck war abzulesen, dass auch die andere Seite stumm war. Ihre beiden Freunde draußen
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