Alaska
dachten schon, Mr. Afanasi hätte das Gespräch unterbrochen und aufgelegt, und wollten Kendra gerade trösten, als sie wieder eine Stimme vernahmen und sich der Schluss des Gesprächs ankündigte: »Miss Scott, wenn Sie keine Probleme hätten, dann wären Sie nicht interessiert an diesem Job. Alle, die hier anrufen, haben irgendwelche Probleme, die sie zu diesem drastischen Schritt zwingen. Ich hoffe nur, Ihre Probleme lassen sich lösen. Wenn nicht, dann kommen Sie besser nicht hierher.«
Ohne zu zögern, antwortete Kendra: »Ich sagte Ihnen ja, ich bin eine ganz normale Frau, und auch meine Probleme sind ganz normal.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Jetzt kommt es nur noch auf Sie an.«
So kam Kendra Scott aus Heber City an ihre Stelle als Lehrerin in Desolation Point, Alaska; Anfangsgehalt: 4 4 . 000 Dollar.
Die kleine Maschine, mit der Kendra an einem klaren Julimorgen nach Barrow flog, setzte um zehn Uhr zwanzig auf dem Rollfeld auf, und kaum hatte Kendra die Wartehalle des Flughafens betreten, um ihr Gepäck abzuholen, vernahm sie hinter sich eine rauhe Stimme. »Sind Sie Miss Scott?« Und auf sie zu kam ein Mann in den Fünfzigern mit zerzausten Haaren und leicht ungepflegtem Äußeren. Er streckte ihr seine Hand entgegen und sagte: »Harry Rostkovsky. Ich soll sie nach Desolation fliegen.« Als er ihr Gepäck sah, drei große Taschen, bemerkte er freundlich: »Sie haben wohl vor, eine Weile zu bleiben. Die letzte vor Ihnen hat es nur drei Wochen ausgehalten. Daher ist die Stelle frei geworden.« - »Aber in dem Prospekt stand doch, es sollte hier in Barrow ein Einführungsseminar stattfinden, drei Wochen in einer neuen Schule«, aber der Pilot lachte nur: »Normalerweise findet es auch statt, aber Sie werden da oben dringend benötigt. Steigen Sie ein.«
Der kurze Flug bei niedriger Höhe ermöglichte Kendra einen herrlichen Ausblick auf ihre neue Heimat. Unter ihr erstreckte sich die weite, baumlose Tundra mit den Abertausenden von kleinen Seen, die zwischen Barrow und Desolation lagen, und jenseits davon die dunkle, geheimnisvoll schimmernde Chuk chisee. Während des ganzen Fluges konnte sie kein Zeichen erkennen, das auf die Existenz von Menschen in diesem Gebiet gedeutet hätte, und als sich Rosty über die Sprechanlage an seinen Passagier wandte, meinte sie: »Das ist ja noch leerer, als ich dachte«, und er zeigte mit dem linken Daumen nach hinten, Richtung Osten: »Es ist überall so leer hier, bis Grönland.«
»Wenn wir in Desolation ankommen, würden Sie mir dann bitte Mr. Afanasi zeigen?« Aber er entgegnete: »Das ist nicht nötig. Er › ist ‹ Desolation. Die können nur froh sein, dass sie den haben.« Dann fügte er noch hinzu: »Er ist Ihr neuer Boss , und einen besseren können Sie sich nicht vorstellen.«
Jetzt folgte der lange Flugabschnitt über dem offenen Meer, dann verlor die Maschine langsam an Höhe und hielt in sanftem Gleitflug auf die Südspitze der Halbinsel zu, die nomadische Eskimos im Laufe der vergangenen 1 4 . 000 Jahre immer wieder als Basis benutzt hatten. Kendra war überrascht, wie verwundbar sich die Behausungen neben der arktischen See ausmachten, scheinbar eingequetscht zwischen der Chukchisee im Westen und einer sich lang dahinstreckenden Lagune im Osten. Doch die bedrohliche Lage war schnell vergessen, denn jetzt versuchte Kendra die neue teure Schule vom Flugzeug aus zu erkennen. Zwischen den verstreut liegenden Häusern konnte sie ein größeres Einzelgebäude jedoch nicht entdecken, und so vermutete sie, der Bau stünde vielleicht weiter landeinwärts, um gegen Fluten von der stürmischen See geschützt zu sein, aber auch als sie das nähere Umland absuchte, ließ sich nichts finden, was an eine Schule erinnerte.
Nachdem Rostkovsky das Dorf zweimal überflogen hatte, eilte die gesamte Bevölkerung, so schien es jedenfalls, zur Landepiste, so dass sich in dem Augenblick, als die Cessna zum Stehen kam, alle, die irgendetwas mit der Lehrerin zu tun hatten - und das betraf fast jeden im Dorf -, versammelt hatten, um sie zu empfangen. Als sie aus dem Flugzeug stieg, vorsichtig auf einen Flügel trat und zu Boden sprang, konnte man Laute angenehmer Überraschung hören, denn eine so junge Frau hatten die Dorfbewohner nicht erwartet. Außerdem war sie sehr attraktiv mit ihrem Pagenschnitt, ihrem einnehmenden Lächeln und ihrer offenkundigen Freude und Begierde, die Menschen kennenzulernen, in deren Dienst sie treten sollte. Der Anfang war gemacht, eine
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