Alaska
Fest aus. Wie auf ein geheimes Kommando öffnete sich ein riesiges Füllhorn und verteilte den Lohn vorangegangener Mühen: Kisten mit Konservendosen, ein Lastwagen, ein Boot mit Außenbordmotor, ein Gabelstapler, geschältes Bauholz, neue Hämmer, helle Tuchballen, Bücher, neue Laternen mit besseren Dochten, für den Fall, dass der Strom ausfiel. Immer auch wurden die modernen Erfindungen angeliefert, die das Leben während der dunklen Monate erträglicher machten: Fernseher, mehrere Tonbandgeräte mit zwei Batteriekammern, Basketbälle und ein Kurzwellenempfänger. Den Tag mitzuerleben, wie sich die Jahresfähre ihrer Fracht in Desolation Point entledigte, bedeutete, ein Teil des Lebens der Eskimos gesehen zu haben, und Kendra ließ sich schnell anstecken von der Betriebsamkeit. Auf die freundliche Geste von Mr. Hooker jedoch war sie nicht vorbereitet. Nachdem junge Männer mit kleinen Transportern die für sie bestimmten Kisten und Bündel vor ihrer Haustür abgeliefert hatten, trat Kasm vor, stellte sich mitten in der Vorratskammer auf und dirigierte geschickt die Verstauung all der Lebensmittel und Konserven, die ein Jahr reichen sollten. »Wir wollen, dass Sie sich hier von Anfang an wohl fühlen«, sagte er.
Die große Überraschung des Jahres kam am zweiten Tag, als sich das Entladen seinem Ende näherte und eine Lieferung neuer Schneemobile an Land gebracht wurde. Sogar die Kinder in Desolation fuhren mit »Skidoos« herum, wie sie genannt wurden, und es war nichts Ungewöhnliches für eine einzige Familie, gleich drei oder noch mehr dieser lauten und gefährlichen Maschinen zu besitzen. Nachdem etwa ein ganzes Dutzend abgeladen war, fingen ein paar Jungens, die zugeschaut hatten, erstaunt zu pfeifen an, denn jetzt traten zwei Matrosen mit einem völlig neuen, verbesserten, rotweißen Modell eines SnowGo-7 an die Verladerampe, ausgestattet mit breiten Reifenprofilen, einer formgerechten Windschutzscheibe aus Plastik und einem Rennlenker, das Stück für 4 . 000 Dollar.
»Wer hat die denn bestellt?« riefen die Jungen aufgeregt, und nach mehreren weiteren Anfragen trat ein hübscher junger Bursche hervor, der zwei Jahre zuvor die Schule abgeschlossen hatte, und nahm den Skidoo in Empfang. Eine Frau flüsterte Kendra zu: »Jonathan Borodin. Sein Vater und sein Onkel haben draußen in Prudhoe gearbeitet. Haben ein Vermögen gemacht.« Kendra hörte den Namen dieser Familie, die sie noch nicht besucht hatte, zum ersten Mal . Es waren die stolzen Borodins, die die Traditionen pflegten, im Gegensatz zu Vladimir Afanasi, der viele Aspekte einer eher modernen Lebensweise übernommen hatte. Sie wunderte sich darüber, dass die traditionsbewussten Borodins ihrem Sohn die Anschaffung eines Schneemobils gestattet hatten, das schien widersprüchlich. Aber da stand die wundersame Maschine nun mal, und als Kendra sah, wie der junge Borodin sie stolz durch den Schnee schob, ahnte sie, dass diese neueste Erwerbung von nun ab seine ganze Phantasie, ja sein Leben beherrschen würde. Sie wandte sich ihrer Nachbarin zu und fragte sie: »War er ein guter Schüler?« Und die Antwort kam prompt: »Sehr gut sogar. Er hätte es schaffen können auf dem College.«
»Warum verschwendet seine Familie dann soviel Geld für ein Schneemobil, anstatt ihn aufs College zu schicken?« Aber die Frau antwortete: »Oh, er war auf dem College. Letztes Jahr. Ein gutes College sogar, in Oregon. Aber nach drei Wochen bekam er Heimweh. Vermisste das Rumgammeln und Nichtstun abends auf der Dorfstraße. Also kam er zurück.«
Auch den restlichen August und die erste Septemberwoche verbrachte Kendra damit, sich mit dem Ort vertraut zu machen: den vom Wind gebeutelten Häusern, den langen, düsteren Rollbahnen - die schützende Verbindung zur Außenwelt -, den im Permafrost ausgehobenen Gruben, Vorratskammern für Fleisch, dem See am Südende des Dorfes, aus dem frische Eisbrocken geschlagen und dann zu Trinkwasser geschmolzen wurden. Und wo sie auch hinsah, überall fand sie die Belege, wie diese Eskimos seit Jahrhunderten mit ihrer arktischen Umgebung rangen und im Laufe ihres Kampfes akzeptable Lösungen gefunden hatten. Wenn sie abends beim Bingo mit den Frauen des Dorfes zusammensaß, beobachtete sie die Spielerinnen voller Bewunderung und ohne eine Spur von Herablassung.
Die Frauen andererseits nahmen es in die Hand; sie angemessen zu unterweisen, und warnten sie: »Sie brauchen jemanden, der Ihnen hilft, Ihre Winterkleidung zu nähen.« Dabei
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