Alaska
Reich am liebsten verbieten lassen wollte, auf das struppige Haar seines Besuchers, lächelte ihn aber dann an: »Aufseher Mitrofan, du kannst die Ketten nun lösen.«
»Aber Sire, dieser Mann ist ein Mörder!«
»Die Ketten!« brüllte Peter und fügte, als sie rasselnd auf den Steinfußboden fielen, in freundlicherem Ton hinzu: »Und, Mitrofan, nimm die Wächter mit, wenn du gehst.« Als einer der Wächter stehenblieb, unschlüssig, ob er den Zaren mit diesem berüchtigten Mörder alleine lassen durfte, lachte Peter leise, ging auf den Kosaken zu und boxte ihn freundlich in den Arm: »Ich weiß, wie man mit dem hier umgeht«, worauf sich die anderen zurückzogen.
Als sie gegangen waren, machte Peter dem Kosaken ein Zeichen, er solle sich auf einen der beiden Stühle setzen, während er selbst den auf der anderen Seite nahm. Nachdem sich nun beide gegenübersaßen, schob Peter die Ellenbogen bis auf die Mitte des Tisches vor und sagte: »Zhdanko, ich brauche deine Hilfe.«
»Die habe ich Euch nie verwehrt, Sire.«
»Aber diesmal will ich nicht, dass du meinen Gouverneur umbringst.«
»Er war ein schlechter Mensch, Sire. Hat Euch so viel geraubt wie mir.«
»Ich weiß. Die Berichte über seine Vergehen haben mich zu spät erreicht. Sie sind erst vor einem Monat hier eingetroffen.«
Zhdanko zögerte kurz, aber vertraute ihm dann an: »Die Reise von Yakutsk nach Sankt Petersburg in Ketten ist wahrlich kein Vergnügen, vor allem wenn man unschuldig ist.«
Peter lachte: »Wenn einer sie übersteht, dann du.« Dann setzte er eine ernste Miene auf: »Ich habe dich in Sibirien stationiert, weil ich den Verdacht hatte, dass ich dich dort eines Tages brauchen werden.« Er grinste den Riesen an und sagte dann: »Der Tag ist gekommen.«
Zhdanko legte beide Hände auf den Tisch, weit auseinander, schaute dem Zaren fest in die Augen und fragte: »Wie bitte?«
Peter blieb stumm. Er schaukelte auf seinem Stuhl hin und her, als beschäftigte ihn etwas Schwerwiegendes, das man so einfach nicht erklären konnte. Er starrte den Kosaken unverwandt an und stellte ihm dann die erste seiner Fragen: »Kann ich dir noch Vertrauen schenken?«
»Ihr wisst die Antwort«, sagte Zhdanko unzweideutig und ohne Anzeichen von Unterwürfigkeit.
»Kannst du große Geheimnisse für dich behalten?«
»Ich bin nie auf die Probe gestellt worden.« Als er sah, dass sich das möglicherweise unverschämt anhörte, fügte er mit fester Stimme hinzu: »Ja. Wenn Ihr mich warnt, meinen Mund zu halten. Ja.«
»Kannst du schwören, dass du deinen Mund hältst?«
»Ich schwöre.«
Peter nickte zufrieden nach diesem Versprechen, erhob sich vom Stuhl, schritt zur Tür, öffnete sie und rief den Gang runter: »Bring uns etwas Bier. Deutsches Bier.« Und als Aufseher Mitrofan das Zimmer mit einem Krug dieses dunklen Gebräus und zwei Bechern betrat, fand er den Kosaken und den Zaren in der Mitte des Zimmers wie zwei Freunde Seite an Seite sitzend, hinter ihnen der Tisch.
Nach dem ersten großen Schluck, den Zhdanko mit dem Kommentar »Tut gut, nach einem Jahr« quittierte, eröffnete Peter die Unterhaltung, deren Thema ihn in den kommenden Monaten und Zhdanko sein ganzes Leben lang beschäftigten sollte: »Ich mache mir Sorgen um Sibirien, Trofim.« Es war das erste Mal, dass er den Gefangenen mit seinem Namen anredete, und beiden war die Bedeutung dieser Tatsache bewusst.
»Diese sibirischen Hunde sind nur schwer kleinzukriegen«, sagte der Kosake, »aber sie sind zahm, verglichen mit den Chukchis auf der Halbinsel.«
Der Zar lehnte sich weiter vor. »Die Chukchis, sie interessieren mich. Erzähl mir mehr über sie.«
»Ich bin zweimal mit ihnen zusammengestoßen. Hab’ beide Male verloren. Aber ich bin sicher, man kann mit ihnen fertig werden, wenn man sie richtig anfasst.«
»Was sind das für Menschen?« Es war deutlich, dass der Zar Zeit gewinnen wollte. Es ging ihm nicht um die kämpferischen Qualitäten der Chukchis, die irgendwo am Ende seines Reiches lebten. Jeder Volksstamm, der sich seinen Soldaten und Beamten auf ihrem unaufhaltsamen Marsch Richtung Osten entgegenstellte, machte am Anfang Schwierigkeiten, fügte sich aber, sobald eine zuverlässige Verwaltung eingesetzt war und man mit unnachgiebiger Härte vorging, und er war sicher, bei den Chukchis würde es nicht anders sein.
»Wie ich schon in meinem ersten Bericht an Euch geschrieben habe, gleichen sie eher Chinesen, ich meine in der äußeren Erscheinung, den Gewohnheiten, als
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