Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
wären wir da doch zwei Tage später hin und wir hätten nur zugreifen müssen! Handschellen raus und abgeführt … Wie machen wir jetzt weiter?«, Renan trommelte mit den Fingerspitzen gegen das Blech der Beifahrertür.
»Machen können wir viel«, seufzte Alfred, »wir müssen nur sorgfältig überlegen, in welcher Reihenfolge wir vorgehen wollen.«
»O.k.«, sagte sie und kramte Notizblock und Kuli aus ihrem Rucksack, »dann sammeln wir jetzt Stichpunkte und machen eine Dringlichkeitsliste. Du musst dich schleunigst um die offizielle Anfrage beim Bundesverwaltungsamt kümmern. Das ist die heißeste Spur!«
»D’accord.«
»Was ist mit den Aussiedlerwohnheimen?«
»Nachrangig würde ich sagen!«
»O.k.«, Renan notierte energisch, »die Jugendlichen von deinem Kumpel Heinrich?«
»Heute, späterer Abend.«
»Was machen wir mit den anderen Kerlen vom Güterbahnhof? Wäre doch möglich, dass die mehr über ihn wissen«, sie blies sich eine Locke aus dem Gesicht.
»Das habe ich mir auch schon überlegt. Allerdings sind die nicht sehr gesprächig, das heißt, wir müssen unter Umständen zu drastischen Mitteln greifen. Vielleicht etwas bluffen«, er überfuhr eine große Kreuzung bei Dunkelgelb und erntete dafür ein unverständliches Kopfschütteln seiner Kollegin, »hohe Priorität. Am besten gleich morgen!«
»Und die Wohnung? Durch das gute Gedächtnis von diesem Fensterbauer wissen wir ja jetzt, wo der Tote gewohnt hat.«
»Das habe ich nicht vergessen. Sollten wir uns auch schnellstens drum kümmern. Schlimmstenfalls müssen wir uns trennen.«
Die Wohnung war eine Tundra in Beton: öde, trostlos und leer. Die Wände waren verputzt und weiß gestrichen. Die möblierte Küche gehörte laut Angaben der Genossenschaft zur festen Einrichtung. Die zwei Zimmer waren mit Linoleum ausgelegt und verfügten über moderne Wärmeschutzfenster. Im »Schlafzimmer« standen ein Feldbett und zwei Kleiderschränke aus Pappkarton. Es war jene Sorte, die in Baumärkten verkauft werden, um Klamotten auf dem Dachboden zu lagern, etwa einen Meter fünfzig hoch, vierzig Zentimeter breit, mit einer windigen Kleiderstange am oberen Rand. Darin befanden sich fast ausschließlich schwarze Hemden, Hosen, Pullover und Jacken. Ein Einbauschrank im Gang barg zwei Tarngarnituren mit sowjetischen Hoheitszeichen und zwei große Reisetaschen voller T-Shirts und Unterhosen. Im »Wohnzimmer« befand sich ein Klappstuhl samt Campingtisch. Außerdem Fernseher und Radio. In einer Ecke sammelten sich etwa zwei Dutzend leere Wodkaflaschen. Auf dem Boden neben dem Klappstuhl stand ein überquellender Aschenbecher. Im Bad befand sich nur das Notwendigste: Rasierapparat, Aftershave , Zahnbürste – jedoch ohne Pastatube –, Seife und zwei speckige Handtücher. Alle Oberflächen waren mit einer millimeterdicken Staubschicht bedeckt.
Es lag ein rauchig-abgestandener Gestank in der Luft, die Sommerhitze hatte die Räume auf über 30 Grad erwärmt. Drei Spurensicherer in weißen Wegwerf-Overalls stelzten geschäftig durch die Kulisse. Durch ihre schweigsame Betriebsamkeit mutete die Szene an wie ein avantgardistischer Kunstfilm. Odyssee in einem Mordfall – Kubrick lässt grüßen, dachte Alfred.
Renan und Alfred hatten sich einen ersten Übe rblick verschafft und saßen nun auf den kühlen Stufen des hellgelb gestrichenen Treppenhauses. Alfred telefonierte mit der Wohnungsbaugenossenschaft, während Renan ihren rechten Daumennagel energisch mit einer Nagelfeile bearbeitete.
»Der Mietvertrag läuft auf den Namen Waldemar Schmidt«, sagte er, das Mobiltelefon in die Tasche seines Sakkos steckend, »geboren am 10. Oktober 1954 in Alma Ata, Kasachstan.«
»Schmidt«, entgegnete sie abfällig, »sehr originell!«
»Sie haben wahrscheinlich Recht, Frau Müller«, Alfred grinste und zündete sich eine Zigarette an, »ich werde die Personalien trotzdem überprüfen lassen.«
»Was wollen wir wetten, dass nichts dabei herauskommt?«
»Lieber nichts«, sagte er, »das Mietverhältnis besteht übrigens seit Sommer 2000.«
»Wenn er ein Drogenkrimineller war, wird er die Wohnung wahrscheinlich öfter wechseln«, überlegte Renan, »deswegen auch die spärliche Möblierung.«
»Also, für mich sieht das da drinnen aus wie ein Provisorium«, stellte Alfred fest.
»Oder eine Durchgangsstation«, sie blickte nicht von ihrer Feile auf, »das Lager eines Menschen auf der Flucht.«
»Nur, vor wem ist er geflohen?«
»Russenmafia, Geheimdienst
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