Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
Abtransport in die Wäscherei in großen nummerierten Säcken gelagert wurde. Sergej hatte Verwandte in der Nähe von Rjasan und schaffte es immer wieder, Zigaretten in die Kaserne zu schmuggeln. Dass sie nie erwischt wurden, lag zum einen daran, dass die wachhabenden Feldwebel nachts am liebsten Wodka tranken und dann tief und fest schliefen und zum anderen an der erfolgreichen Bestechung der wenigen Wachsamen mit Zigaretten. Und so saßen sie jahraus, jahrein in der Wäschekammer, rauchten Belomorkanal oder Sewer und schmiedeten Pläne. Sie machten sich Gedanken, wie man die Ausbildung und die Vermittlung der kommunistischen Lehre verbessern könnte, denn es stand zu befürchten, dass das Volk sich irgendwann von seiner gerechten Ideologie abwenden würde, wenn es keine besseren Vermittler geben würde wie Kutschenko oder ihre Lehrer in der Schule. Sie malten sich aus, was sie machen würden, wenn sie erst mal Obersten oder gar Generäle wären, und überlegten, wo im Land sie überall ihre Datschen bauen würden.
Sie glaubten an den Sowjetstaat, vor allem als sie nach vier Jahren Ausbildung ihre Abschlussprüfungen bestanden und mit goldenen Achselstücken zum Offiziersdienst entlassen wurden. Sie waren verdammt stolz, das alles durchgestanden zu haben, und hatten zwei große Ziele: Sie wollten möglichst schnell Karriere machen und sie wollten regelmäßig in Kontakt bleiben, was keinesfalls leichter war, handelte es sich bei der Sowjetunion doch um das größte Land der Erde. Sergej wurde nach Murmansk abkommandiert und Aleksej nach Kamtschatka. Nikolai und Jewgenji kamen nach Afghanistan, wo ihr Land gerade in einen Bürgerkrieg eingegriffen hatte.
Nikolai schlug das Buch zu und rieb sich die Augen. Er hatte einen Klappstuhl und seine Angel gepackt und sich am Kanal niedergelassen. Schon am Vormittag war es unerträglich heiß und das verbrannte Gras bildete einen harten Untergrund. Insgesamt waren erst drei Schiffe vorbeigefahren, alle in südliche Richtung. Angeblich war der Pegel des Rheins schon so weit gesunken, dass dort kaum noch Schiffsverkehr möglich war. Da hier so gut wie nie ein Fisch anbiss, hatte Nikolai ein Notizbuch mitgenommen und begonnen, die Geschichte seines Lebens festzuhalten. Wahrscheinlich war das sogar der wahre Grund für seinen Angelausflug, er wusste es nicht so genau. Aber er hatte beschlossen, Valentina irgendwann in naher Zukunft seine Vergangenheit zu beichten, und da er nicht mehr sicher sein konnte, das noch persönlich tun zu können, schrieb er die Geschichte auf. Das Buch konnte er irgendwo in der Wohnung verstecken und dafür sorgen, dass sie es zu einem bestimmten Zeitpunkt fand. Das Schreiben fiel ihm schwer – wie immer. Nun, ihm würden ja noch ein paar Tage Zeit bleiben. Er steckte das Buch ein, schob seine Mütze ins Gesicht, lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen.
Das Innere der Teetasse war von einem braunen Schleier überzogen. Die Tasse bestand aus gebranntem Ton, die oberen zwei Drittel der Außenseite waren blau-grün glasiert – mit schwarzen Sprenkeln dazwischen. Das untere Drittel war außen naturbelassen und mit Rillen sowie verschiedenen in den Ton gedrückten Schmuckelementen verziert: kleine Punkte, kleine Muscheln und Buchstaben. Renan hatte in den letzten drei Jahren eine regelrechte Beziehung zu dieser Tasse entwickelt. Sie hatte sie zu Beginn ihres Dienstes bei der Mordkommission aus dem hintersten Winkel des Geschirrschrankes in der Teeküche gefischt. Offensichtlich war die Tasse eine Ausgestoßene, nicht geduldet in den Reihen der unkaputtbaren Schneeweißen und der schwarzen Achteckigen. Die drei Namenstassen – Udo, Hans und Susanne – konnten sich anscheinend auch nicht mit ihr anfreunden und so hatte Renan probeweise von dieser Randexistenz Besitz ergriffen. Bis heute hatte sich noch keiner der Kollegen beschwert und Renan ging davon aus, dass das gewöhnungsbedürftige Stück Ton mittlerweile ihr Eigentum war. Eigentlich war es ja ohnehin pervers, bei 35 Grad im Schatten heißen Tee zu trinken …
»Guten Tag, Frau Müller«, Kriminaldirektor Göttler weckte Renan unsanft aus ihrem Tagtraum und setzte sich gutsherrenartig ihr gegenüber auf Alfreds Platz.
»Guten Tag, Herr Göttler«, sie war gleichzeitig erschrocken, weil er sie überrumpelt hatte, und reserviert, weil er … eben Göttler war.
»Wo ist denn der Kollege Albach?«, Göttler musterte interessiert Alfreds Schreibtisch.
»Der beendet gerade die
Weitere Kostenlose Bücher