Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
Vernehmung der Aussiedler vom Güterbahnhof«, Renan bemühte sich, möglichst locker zu wirken.
»Und Sie?«
»Ich«, Renan blickte nervös zwischen einigen ordentlichen Papierstapeln und dem ausgeschalteten Computer hin und her, sodann zur Tür, zum Telefon und zu ihrer Umhängetasche – ein Glück, die Tasche, »bin in der Mittagspause«, sie entnahm der Tasche einen schrumpeligen Apfel, »Mahlzeit!«
»Sehr bescheidenes Mahl«, er zupfte an seinen Hemdsärmeln. Trotz der Mittagshitze schien er kaum zu schwitzen.
»Kann ich irgendwas für Sie tun, Herr Göttler? Wollen Sie vielleicht auch einen?«, sie zog zwei weitere Schrumpfköpfe hervor.
»Nein danke«, Göttler schielte über den Rand seiner Brille, »ich habe da so eine seltsame Allergie. Aber bitte, ich will Sie nicht von Ihrer wohlverdienten Pause abhalten.«
Sie biss zögernd in das saure Stück Obst und musterte ihren Vorgesetzten, während sie sehr langsam kaute. Dieser wischte einige Tabakkrümel von Alfreds Schreibtisch und überflog die herumliegenden Notizen.
»Wissen Sie, Frau Müller«, sagte Göttler schließlich, »irgendwie gefallen Sie mir. Sie stehen für einen neuen Typ von Polizistin: interkulturell, professionell und mutig. Sie sind kaum krank, selbstbewusst und streben nicht nach schnellen Beförderungen oder Höhergruppierungen …«
Was soll denn das jetzt heißen?, dachte sie. Will er mir erklären, dass ich die nächsten zwanzig Jahre auf A10 sitzen bleibe?
»Sie können es bei uns noch weit bringen«, sprach er weiter, »ich mache mir in diesem Fall nur etwas Sorgen um meinen alten Freund Albach.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Er hat mich gebeten, einen bundesweiten Abgleich des Phantombildes mit der Aussiedlerdatenbank zu beantragen …«
»Und?«, ihr Blick verfinsterte sich in Sekundenschnelle.
»Ich habe das natürlich sofort in die Wege geleitet, nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft, versteht sich. Aber ich möchte Sie bitten, Alfred etwas zu bändigen. Ich befürchte, er verrennt sich da in eine aussichtslose Sache. Er hat nämlich vor vielen Jahren mal einen ähnlichen Mord nicht aufklären können, wissen Sie?«
»Er hat mir davon erzählt!«
»Na, dann wissen Sie ja schon Bescheid«, er erhob sich und stützte sich mit beiden Händen auf die Stuhllehne, »ich möchte Sie bitten, bei diesem Vorgang das nötige Augenmaß zu bewahren, Frau Müller. Sollten Sie der Meinung sein, dass Ihr Kollege über das Ziel hinausschießt, zögern Sie nicht, mich zu informieren. Schließlich haben wir ja noch genügend andere Kriminalität in dieser Stadt.«
»Keine Sorge, Herr Göttler, ich passe schon auf«, nickte Renan mit großen, unschuldigen Augen.
»Das beruhigt mich«, lächelte Göttler selbstzufrieden, »dann wünsche ich noch einen erfolgreichen Tag.«
Konrad Herbst saß auf der Terrasse seines Reihenhauses in Fürth. Sein Rheuma plagte ihn wieder, so dass er trotz der Hitze in der prallen Sonne Platz genommen hatte und sich eine Tasse frisch aufgebrühten Pfefferminztee gönnte. Herbst konnte weder Mützen noch Hüte tragen, weil ihm das binnen weniger Minuten Kopfschmerzen bereitete. Dieser Umstand zwang ihn nun dazu, seinen breiten Scheitel mit Sonnenöl einzucremen. Die öligen Hände hinterließen perfekte Fingerabdrücke auf der Tageszeitung, die, mittlerweile gelesen, auf dem Teakholztisch lag. Das Mobiliar und die gesamte Gestaltung der Terrasse sahen nicht nach einem Beamten a. D. aus. Die Bodendielen sowie ein halbes Dutzend riesiger bepflanzter Terrakottatöpfe ließen die geschmacksichere Hand seiner Frau Rosi erkennen. Der Garten wiederum war Herbsts Territorium und er hatte beschlossen, wenigstens auf diesen 70 Quadratmetern der Natur nicht ins Handwerk zu pfuschen. Abgesehen von zwei Apfelbäumen und einem Birnbaum überließ er die Flora sich selbst, bis seine Frau ihn etwa zwei Mal im Jahr nötigte, der Wiese (Rasen war ein mittlerweile unzutreffender Begriff) zu Leibe zu rücken. Ein Frondienst, dem Herbst nach alter Väter Sitte leidenschaftslos mit einer handgeschliffenen Sense nachkam. Zurzeit war er jedoch außer Gefahr, da Rosi für einige Wochen zu einem Malkurs in die Toskana gefahren war.
So konnte sich Herbst voll und ganz den wirklich wichtigen Dingen widmen, wie z.B. dem Schachrätsel aus der Wochenendausgabe, der Sortierung seines Plattenarchivs oder diesem eisernen Abzeichen.
»Sehr interessant«, murmelte Herbst, während er das Objekt mittels einer riesigen
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