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Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Titel: Albach und Mueller 01 - Russische Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bronnenmeyer
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unter einer Brücke schlafen müssen. Das alles waren Gedanken, denen man sich doch einfach anschließen musste. Eine Ideologie, die zu verteidigen doch nahezu eine Menschenpflicht war.
    Von dem Mangel und der Knappheit im Land bekamen die Kadetten in Rjasan tatsächlich fast nichts mit. Sie hatten warme Stuben und wurden ausgezeichnet ernährt. Die strenge Disziplin der militärischen Erziehung ertrugen sie meist mit russischer Gelassenheit. Lediglich die Willkür einiger Offiziere machte ihnen bisweilen das Leben schwer. So erhielt Nikolai in ihrem zweiten Jahr einmal vier Wochen Arrest wegen »böswilligen Lachens«. Es war eine besondere Spezialität der Feldwebel in Rjasan, die Kadetten nach frischem Schneefall oder bei Glatteis im Laufschritt zu Sonderappellen antreten zu lassen. Wer dabei hinfiel, musste eine Woche lang jede Nacht Wache stehen. Nikolai hatte seine Mundwinkel leider nicht ganz in der Horizontalen halten können, als Leutnant Kochlow eines frühen Wintermorgens auf einer gefrorenen Pfütze ausrutschte und ihnen direkt vor die Stiefelspitzen segelte – voll wie eine Strandhaubitze.
    Im darauffolgenden Winter wurde es für Nikolai ungemütlich. Kochlow hatte ihn seit dem Vorfall im Kasernenhof auf dem Kieker. Er ließ Nikolai bei mehreren Appellen aus dem Glied treten, weil seine Stiefel nicht genug glänzten. Nikolai musste die folgenden Stunden an der Kasernenwand strammstehen, während die anderen exerzierten. Als er mit der Reinigung der Toiletten an der Reihe war, entschloss sich Kochlow zu einer spontanen Inspektion. »Dass nennst du sauber, du Schwein?«, brüllte er. Er ließ den ganzen Flur antreten und zusehen, wie Nikolai jede der Kloschüsseln zuerst mit seiner Zahnbürste und später mit einer Rasierklinge säuberte.
    Im Februar schließlich bekam Nikolai eine fiebrige Erkältung. Er meldete sich beim diensthabenden Feldwebel krank und lag kaum auf seiner Pritsche, als Kochlow schon in die Stube stürmte und ihm befahl, sich wieder anzuziehen und sich mit den anderen an den Schießübungen zu beteiligen, Simulanten wie ihm würde er schon beibringen, was Pflichterfüllung für einen Soldaten bedeutete. Zitternd gehorchte Nikolai. Er traf nicht besonders gut und Kochlow brummte ihm für den Rest der Woche zusätzliche Wachdienste am Munitionsbunker auf.
    Nach dem Abendessen waren ihm zwei Stunden unruhiger und fiebriger Schlaf vergönnt, bis er sich zur Wache melden musste. Es war eine nasskalte Nacht mit zweistelligen Minusgraden, Nebel und feinem Schneegrießel. Nikolai konnte sich kaum auf den Beinen halten. Der schwere Mantel war klamm und zog ihn mit doppelter Erdanziehungskraft nach unten. Er lehnte sich bebend vor Schwindel und Kälte an die Bunkerwand und weinte lautlos. In diesem Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als zu sterben oder aber aufzuwachen und festzustellen, dass es sich hier um einen Albtraum handelte und er in Wirklichkeit in seiner warmen Koje lag, umgeben vom Schnarchen der Kameraden. Doch sein Wunsch ging nicht in Erfüllung, stattdessen hörte er Schritte ums Eck kommen. Er wischte die Tränen ab und bemühte sich um eine halbwegs gerade Haltung, weil er eine Kontrolle von Kochlow erwartete. Stattdessen stand plötzlich Jewgenji neben ihm und griff ihm stützend unter die Arme.
    »Los«, raunte er, »Uniformen tauschen und Gewehr her!«
    »Was machst du da?«, stotterte Niklolai, während ihm der Mantel vom Leib gezogen wurde.
    »Ich übernehme das hier«, erklärte Jewgenji knapp, »heute und den Rest der Woche. Du meldest dich immer um zehn zur Wache und ich übernehme ab Mitternacht.«
    »Das werden sie merken«, Nikolai wurde eine Decke übergeworfen.
    »Diese Woche hat Feldwebel Kaminski Frühdienst. Der kann uns eh nicht auseinander halten, ich muss nur die Mütze etwas tiefer ins Gesicht ziehen. Und Kochlow ist jeden Abend ab zwölf so dicht, dass er nicht mehr gerade gehen kann«, Jewgenji griff sich das Gewehr und schob Nikolai in Richtung Schlaftrakt, »und jetzt sieh zu, dass du ins Bett kommst und gesund wirst, alter Esel!«
    »Das werde ich dir nie vergessen«, flüsterte Nikolai und taumelte im Schatten des Bunkers davon.
     
    Als Kochlow im Frühjahr von Nikolai abließ und sich neuen Opfern zuwandte, gründeten sie zusammen mit Sergej und Aleksej, zwei anderen Kadetten, eine Art Club. Sie trafen sich ein Mal in der Woche nachts in der Wäschekammer, einem kahlen fensterlosen Raum, wo die Schmutzwäsche der gesamten Kaserne zum

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