Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
unscheinbaren Betonbaus am Rand von Kabul. Es war Winter und ungewöhnlich kalt, anscheinend funktionierte die Heizung nicht. Der Raum war nicht sehr groß und nur spärlich mit einigen Holzmöbeln ausgestattet. An der Wand hing ein Bild des Generalsekretärs Breschnew und eines des KGB-Chefs Andropow. Gegenüber befanden sich etliche gerahmte Urkunden, die den Generalmajor als verdienten, tapferen und pflichtbewussten Diener der UdSSR auswiesen. Nachdem er stramm Meldung gemacht hatte, wurde Nikolai befohlen, sich hinzusetzen.
»Glauben Sie wirklich, dass Sie dem Geheimdienst Ihres Mutterlandes gute Dienste leisten können?«, bellte Sinajew, nachdem er Nikolai etwa fünf Minuten lang schweigend gemustert hatte.
»Genosse General«, antwortete Nikolai zackig, »ich habe hervorragende Leistungen auf der Offiziersakademie vorzuweisen, ich habe in Afghanistan gekämpft und bin in Erfüllung meiner Pflicht schwer verwundet worden. Wenn ich entsprechend weitergebildet werde, kann ich für das Komitee sicher sehr gute Arbeit leisten!«
»Jaja«, grollte Sinajew, »am Anfang habt ihr alle eine hohe Meinung von euch selbst, aber wenn’s drauf ankommt, kann man sich auf keinen verlassen! Trinken Sie Wodka?«
»Niemals, Genosse General!«
»Das sagen sie auch alle«, zürnte Sinajew weiter, »und wenn man Jahre der Ausbildung investiert hat, sind neunzig Prozent Alkoholiker«, seine rote Nase leuchtete fast, als er fortfuhr: »Beim KGB geht es nicht zu wie bei den Soldaten! Sie müssen viel mehr können und erheblich mehr wissen. Wie steht es zum Beispiel mit Ihren Literaturkenntnissen? Lesen Sie Bücher?«
»Selbstverständlich, Genosse General!«
»Dann nennen Sie mir den diesjährigen Leninpreisträger für Literatur«, befahl Sinajew, während er sich hinter seinen Schreibtisch setzte.
»Ivan Roschenko«, antwortete Nikolai nach kurzem, panischem Überlegen. Es war der Name seines Russischlehrers in der Grundschule gewesen.
»Noch mal Glück gehabt«, blaffte Sinajew, »ich werde Ihre Aufnahme in den KGB befürworten.«
Eine Woche später wurde Nikolai nach Irkutsk abkommandiert. Obwohl die KGB-Schule wieder eine Art Kasernierung darstellte, fühlte sich Nikolai erleichtert, dem Wahnsinn des Krieges entronnen zu sein. Und wieder gab es viel zu lernen: operative Tätigkeiten des KGB, nachrichtendienstliche Arbeit, Nachrichten- und Spionageabwehr der Hauptfeinde, Aufgaben des KGB im Krieg, Taktiken der Desinformation, Abwehr »ideologischer Diversion« und so weiter. Das Herzstück jeder geheimdienstlichen Arbeit bestand jedoch im Anwerben und Führen von Agenten. Darauf wurden sie besonders intensiv vorbereitet. Grundsätzlich gab es zwei Möglichkeiten: entweder ein Mensch wurde aufgrund seiner politischen Überzeugung angeworben oder es musste eine »Abhängigkeitsgrundlage« hergestellt werden. Das bedeutete Erpressung, Bestechung, Drohung, Druck. Um die erfolgversprechendste Taktik anwenden zu können, wurden die KGB-Schüler psychologisch besonders geschult. Es war vor allem wichtig, Menschen schnell einzuschätzen, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und ihre Handlungen vorherzusehen.
»Das ist alles nicht mehr so einfach wie früher«, erklärte der Instrukteur für Psychologie, Major Rostow, »noch vor zehn Jahren konnten wir fast jeden Mann mit seiner Frau bedrohen. Wir haben einer Mitarbeiterin befohlen, mit ihm eine Affäre zu beginnen, die Schäferstündchen dann fotografiert und fertig. Aber heute verkommt die öffentliche Moral immer mehr, so dass wir gezwungen sind, neue Wege einzuschlagen!« Es folgte die Geschichte eines ausländischen Diplomaten, der auf diese Weise gefügig gemacht werden sollte. Es klappte alles hervorragend: die Agentin war klug und schön, die Liebesbeziehung intensiv und die Fotos von ausgezeichneter Qualität. Eines Tages traf der Diplomat statt der Geliebten zwei KGB-Leute in seinem Liebesnest an, die ihm die Aufnahmen vorlegten und ihm dringend rieten, künftig als Informant für den KGB zu arbeiten. Ansonsten sähen sie sich gezwungen, die Bilder verschiedenen Personen zukommen zu lassen, die ihm nahe standen. Dummerweise gefielen die Fotos dem Diplomaten sehr gut. Er bat darum, den Satz behalten zu dürfen, und ermutigte die Agenten, Abzüge zu schicken an wen sie wollten – seine Frau, seine Vorgesetzen –, er hätte damit keine Probleme. »Und so«, beendete Rostow seinen Vortrag, »werden wir immer öfter gezwungen, noch subtilere Methoden anzuwenden oder
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