Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
einen knackigen Zwanzigjährigen als Verwaltungskraft hätten?« Alfred wandte sich scheinbar wieder den Aufzeichnungen auf seinem Schreibtisch zu.
»Keine Ahnung«, parierte Renan mit Unschuldsmiene, »einen Mann würde ich noch viel härter anpacken, echt!«
»Die Botschaft höre ich wohl, allein – mir fehlt der Glaube«, zitierte Alfred ironisch.
»Siehst du, da ist er wieder!«, rief sie.
»Wer?«
»Der Zeigefinger!«
»Was?«, Alfred bemühte sich, den Unterarm unbemerkt zu senken.
»Der erhobene Zeigefinger vom Herrn Oberlehrer. Das habe ich ein Jahr lang mitmachen müssen. Dabei war ich so froh, endlich aus der Schule raus zu sein!«
Renan war es mal wieder gelungen, binnen weniger Sekunden den Spieß umzudrehen. Wie schaffte sie das bloß immer wieder?, fragte sich Alfred im Stillen bewundernd und entgegnete etwas pikiert: »Entschuldigung, wenn ich dich an meiner jahrzehntelangen Erfahrung teilhaben lassen wollte.«
»Ja, ja. Und jetzt wieder den Beleidigten spielen!«
Oh, dieses Weib! »Ich war schon seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr beleidigt und werde es auch für den Rest meines Lebens nicht mehr sein. Dafür habe ich nämlich schon zu viel mitgemacht!«
»Aha! Und nachtragend bist du dann auch nicht?«
»Ich bin niemals nachtragend!«, Alfred war es unmöglich zu verhindern, dass er eine Spur lauter wurde und jedes Wort einzeln betonte.
Renan zog ein leeres Blatt Papier aus dem Drucker und begann zu schreiben.
»So, unterschreiben!«, befahl sie eine Minute später.
»Hiermit erkläre ich, Alfred Albach, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr beleidigt war und es auch nie wieder sein werde. Außerdem bin ich niemals unversöhnlich«, las er vor. »Was soll das jetzt?«
»Ich werde dich zu gegebener Zeit an deine Worte erinnern und möchte nicht, dass du dich rausredest!«, Renan blitzte triumphierend.
»Also gut«, sagte er knapp und unterschrieb, »damit habe ich überhaupt kein Problem!« Er warf das Papier auf ihren Tisch zurück.
»O.k.! Und jetzt zu den Belehrungen …«
»Wir können uns die Frau Reimer ja teilen«, schlug er zackig vor, »von Montag bis Mittwoch Mittag darf ich sie belehren und von Mittwoch bis Freitag kannst du sie dann schikanieren!«, er hatte jetzt keine Lust sich weiter zu streiten und verließ demonstrativ den Raum.
Alfred lief kurz darauf mit beiden Händen in den Hosentaschen durch die noch verschlafene Fußgängerzone. Zum Rauchen hatte er keine Lust. Er wusste genau, dass der Streit mit Renan gerade nichts Ernstes gewesen war, sie brauchten ab und zu mal eine Auseinandersetzung, um dann wieder zu lockerem Schlagabtausch übergehen zu können – Psychohygiene hatte Renan das einmal genannt. Ein reinigendes Gewitter eben, nach dem man wieder durchatmen konnte. Leider blieb das meteorologische Unwetter wieder einmal aus. Die Hitzewelle hielt nun schon seit drei Wochen mit regelmäßigen Höchsttemperaturen von über 34 Grad an, für einen wetterfühligen Menschen wie Alfred kein Zuckerschlecken – erst recht nicht, wenn man am Abend zuvor Freiherren-Gebräu getrunken hatte. Verschlimmert wurde das Ganze noch dadurch, dass sich seit zwei Tagen abends Gewitter ankündigten, aber nicht stattfanden. Luftfeuchtigkeit und Luftdruck stiegen und die Temperaturen gingen in der Nacht noch weniger zurück als sonst, so dass die Nachtruhe ebenfalls kaum Erholung brachte. Da war es dann schon besser, in einem ordentlichen Gewitter mal nass zu werden. Alfred überquerte die Fleischbrücke und machte auf dem Rückweg einen kurzen Zwischenstopp in einer der neuen, schicken Espresso-Bars, wo er Rötlein und Jürgens, zwei frischgebackene Mitglieder der Soko Hartmann, traf. Die beiden erzählten, dass mittlerweile ein Herr vom LKA eingetroffen war, der den Beamten in der Provinz nun mal zeigen sollte, wie man solche Fälle richtig anpackt. Eigentlich war es nicht üblich, dass sich das LKA personell an Sonderkommissionen dieser Art beteiligte, aber Göttler hatte sich wegen der großen Prominenz des Opfers mächtig ins Zeug gelegt und binnen vierundzwanzig Stunden Verstärkung aus München bekommen. Während der LKA-Heini noch von Göttler mit Cappuccino bewirtet wurde, hatten die hiesigen Ermittler schon herausgefunden, dass Hartmann vor einem halben Jahr einen Mitarbeiter seines mittleren Managements auf ziemlich unfaire Weise gefeuert hatte, weil der sich erlaubt hatte, die gegenwärtige Politik der
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