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Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Albach und Mueller 01 - Russische Seelen

Titel: Albach und Mueller 01 - Russische Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bronnenmeyer
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Polizeipräsidenten oder Kriminaldirektor natürlich nicht vorschreiben, wie er seinen Laden organisiert. Das wäre erst möglich, wenn durch Missorganisation die Aufklärungsstatistik massiv leiden würde.«
    »Also muss wohl die Gewerkschaft ran«, sagte Renan und schlug Heinrich auf die Schulter.
    »Das fürchte ich auch«, entgegnete der mit finsterer Miene, »ich habe schon mal als Gewerkschaftsvertreter beim Polizeipräsidenten gesessen …«
    »Und, wie war’s?«, fragte Anna.
    »Zwei Stunden Monolog«, die Falten auf Heinrichs hoher Stirn erinnerten jetzt an die topographische Darstellung eines Mittelgebirges, »die Geschichte der Polizei von 1918 bis heute. Mit besonderer Berücksichtung der siebziger Jahre, als die Zuständigkeit für den Polizeidienst von den Städten zum Bundesland verlagert wurde … danach hast du keine Power mehr, irgendein Anliegen engagiert zu vertreten, ich schwöre!«
    »Auf jeden Fall kommt da einiges auf euch zu«, sagte Renan mitfühlend.
    »Allerdings«, nickte Heinrich »aber zum Glück hat sich letzte Woche jemand bereit erklärt, die Organisation für die Weihnachtsfeier zu übernehmen!«
     
    Das Bier aus dem Automaten vor der Kantine – Freiherren Edel Pils – war mittlerweile viel zu warm. Während er die Flasche an den Mund hob, beobachtete Alfred die Abendsonne, die sich tiefrot in den Fenstern eines schräg gegenüberliegenden Kaufhauses spiegelte. Er saß auf Renans Platz, der die bessere Aussicht auf die Fußgängerzone bot, und bemühte sich, keine Tabakkrümel auf ihrer Schreibtischunterlage zurückzulassen. Schließlich stand er auf, öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus und zündete die Kippe an. Er saugte den Rauch inklusive der feuchten Abendluft bis in die letzten Bronchien und ließ das Nikotin wirken. Es war bereits nach 20 Uhr. Die Geschäfte in der Innenstadt hatten geschlossen und die Fußgängerzone war fast leer. Alfred brauchte hin und wieder diese Stunden, allein im zweiten Stock des Dienstgebäudes. Ungestört konnte man die Außenwelt an sich vorbeiziehen lassen, die eigene Innenwelt entdecken, die Toilettenwände mit markigen Sprüchen verzieren, Salz und Zucker in der Teeküche vertauschen oder endlich mal wieder im eigenen Büro Rauch erzeugen. Keine Frage, dass Renans Spürnase das morgen feststellen würde, aber letztendlich konnte sie ihm ja nichts beweisen. Alfred hatte sich zu einer spontanen Spätschicht entschlossen, als ihm eingefallen war, dass seine Frau heute Abend ein gutes Dutzend ihrer Lehrer-Kolleginnen zu kaltem Buffet und angeregtem Plausch eingeladen hatte. Sie tat das ungefähr zweimal im Jahr und bat ihn jedes Mal eindringlich, sich nicht wieder zu drücken. Grundsätzlich hatte er ja auch nie etwas dagegen, im Mittelpunkt zu stehen, aber eine Meute von zwölf Gymnasiallehrerinnen, die sich hemmungslos betranken, überstieg seine Leidensfähigkeit bei weitem. Unter ihm, im Erdgeschoss, waren die Nacht- und Bereitschaftsdienste aktiv, während im dritten Stock auf der zum Innenhof gewandten Seite des Gebäudes die »Soko-Hartmann« die Arbeit aufgenommen hatte.
    Die Kollegen würden ihr Wochenende und ihre Feierabende bis auf weiteres vergessen können. Solche Gelegenheiten ließen sich profilierungssüchtige Führungskräfte wie Herbert nicht entgehen. Die nächste Landtagswahl würde bestimmt kommen und Kriminaldirektor Göttler rechnete sich gute Chancen aus, Abgeordneter zu werden, vielleicht sogar Staatssekretär. Er war im richtigen Alter, in der richtigen Partei, kannte die richtigen Amts- und Würdenträger, hatte als Beamter nichts zu verlieren, spielte Golf und verfügte über den notwendigen Ehrgeiz bzw. die nötige Skrupellosigkeit.
    Und während Menschen wie Herbert das Land regierten, verkam diese Stadt zu einem Modemagazin: außen Hochglanz, innen Leere; äußerlich herausgeputzt und aufpoliert, innerlich trost- und geistlos. Alfred erinnerte sich, dass kurz hinter dem Weißen Turm früher der Kurzwaren Buchholz gewesen war, ein Familienunternehmen, das auf mehreren Etagen Knöpfe, Schnallen, Zwirn und Ähnliches feilbot. Heute befand sich darin eine Trend-Boutique. Der ehemalige Herrenausstatter Hendrik Soldan war mittlerweile der Espressobar einer Bäckereikette gewichen und wo einst Eisen- und Haushaltswaren verkauft wurden, protzte jetzt ein Parfümerie-Megastore. Alfred war nicht der Erste und noch weniger der Einzige, dem auffiel, dass die größeren Innenstädte in Deutschland, ja sogar in Europa,

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