Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
auf eine Werkbank und Nikolai schenkte großzügig ein. Rausch war sehr offen und interessierte sich für das Leben der Menschen in der Sowjetunion, denen es angeblich noch viel schlechter ging als ihnen hier in der DDR. Nikolai schilderte die Verhältnisse ungeschminkt und nahm Rausch das Versprechen ab, niemandem etwas davon zu erzählen, weil er sonst in große Schwierigkeiten kommen könne. Dies sei eine Frage des Vertrauens. Rausch erzählte im Gegenzug von der DDR, seinen Freunden und Verwandten und so war die Flasche schnell geleert. Es war bereits spät in der Nacht, als sie sich verabschiedeten und Rausch den russischen Offizier einlud, jederzeit wiederzukommen, schließlich wüssten auch Deutsche, wie man Gäste zu bewirten habe.
Nikolai kam noch mehrmals auf diese Einladung zurück. Rausch wartete jedes Mal mit einer Flasche schwarz gebranntem Korn auf, der tatsächlich wesentlich besser schmeckte als alles, was man offiziell in der DDR kaufen konnte. Etwa einen Monat nach dem ersten Wodka war Egon Rausch »reif«. Nikolai lud ihn zu sich nach Hause ein. Bei den Räumlichkeiten handelte es sich um eine sichere KGB-Wohnung. Nikolai hatte Rausch mit einem Gasik abgeholt und betrat gemeinsam mit ihm die Wohnung, in der schon Nikolais direkter Vorgesetzter wartete.
»Darf ich dir Major Kynduschenko vorstellen«, begann Nikolai, »er möchte auch ein bisschen mit uns feiern.«
»Sehr angenehm«, Rausch schüttelte dem Major die Hand und war noch immer ahnungslos.
»Es freut mich sehr« sagte Kynduschenko, »dass Sie so großes Interesse an unserer sozialistischen Freundschaft und an der Arbeit des KGB zeigen.«
»KGB!«, rief Rausch entsetzt und blickte Nikolai panisch an.
»Oh, hat der Genosse Leutnant wohl vergessen zu erwähnen, dass er für den KGB arbeitet?«, fragte der Major scheinheilig.
»Hören Sie«, Rausch rang um Fassung, »ich will das alles gar nicht hören. Ich dachte, ich wäre zu einem Freund nach Hause eingeladen worden!«
»Es gibt keinen Grund sich aufzuregen«, Kynduschenko lehnte sich in seinem Sessel zurück, »sehen Sie denn nicht, was für eine große Ehre Ihnen hier zuteil wird. Man hat Sie als würdig erachtet, mit dem Geheimdienst der großen Sowjetunion zu kooperieren. Sie können uns helfen, den Siegeszug gegen den Imperialismus erfolgreich weiterzuführen. Sie halten Ihre Augen und Ohren offen und erweisen uns einige kleine Dienste. Das Ganze wird für Sie kein Schaden sein.«
»Und ich habe gedacht, du wärst mein Freund«, wandte sich Rausch an Nikolai, »ich glaube, jede weitere Unterhaltung ist hier sinnlos«, enttäuscht stand er auf und wollte die Wohnung verlassen.
»Bleiben Sie sitzen«, brüllte Kynduschenko in einer Lautstärke, die den Deutschen rücklings wieder in seinen Sessel drückte.
»Ich kann dir wirklich helfen«, beschwichtigte Nikolai, der den Mut des Mannes insgeheim bewunderte, »ist dir eigentlich klar, dass die Staatssicherheit der DDR dich im Visier hat? Ich habe die Unterlagen gesehen, das sind fünf dicke Aktenordner!«
»Wenn ich zwischen euch und der Stasi wählen muss, fällt mir das nicht schwer«, er schüttelte den Kopf.
»Die DDR-Behörden machen dir deinen Laden zu«, beharrte Nikolai, »spätestens nächstes Jahr. Wir können dir helfen, dass du so weiter arbeiten kannst wie bisher. Hilf uns und wir helfen dir!«
»Der Genosse Leutnant meint es wirklich gut mit Ihnen«, Kynduschenko zündete sich eine Prima an, »man könnte aber auch sagen, dass jeder echte Bürger des sozialistischen Lagers, den wir um Kooperation bitten, verpflichtet ist, uns zu helfen. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.«
»Wir wollen doch nur, dass du dein Geschäft behältst«, sagte Nikolai, »dein Haus, deine Autos und was dir sonst noch lieb ist. Du hast mit so vielen verschiedenen Leuten zu tun – Deutsche und Russen –, auf die du ein kleines Auge haben solltest. Unsere Feinde schlafen nicht!«
»Und ich habe immer gehofft, so etwas würde mir erspart bleiben«, Rausch vergrub sein Gesicht in den Händen.
»Sie sind Geschäftsmann«, sagte der Major rau, »ziehen Sie Bilanz. Wenn Sie sich weigern, werden wir die Gespräche, die Sie mit dem Genossen Leutnant geführt haben, auswerten und alle Bekannten und Freunde überzeugen, dass Sie schon lange als Informant für uns tätig sind. Das Leben dürfte dann ziemlich unangenehm für Sie werden. Noch dazu als Arbeiter in einem Staatsbetrieb. Außerdem glaube ich gehört zu haben, dass Ihr Sohn und
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