Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
dieser Odyssee wünschte sich Nikolai nichts mehr als einige Stunden erholsame Nachtruhe.
Diese dauerte jedoch nur bis etwa zwei Uhr, als sie durch ein lautes Klopfen an der Tür geweckt wurden. »Aufstehen, ihr Lumpen! Wir müssen Bekanntschaft schließen!«. Es war ein Hauptmann, der schon ordentlich einen sitzen hatte. Sein Uniformmantel war verkehrt zugeknöpft und die Mütze drohte, ihm jeden Moment vom Kopf zu fallen. »Ich bin Konstantin, aber ihr könnt mich Kostja nennen«, lallte er und hielt ihnen eine Flasche Kognak hin. Es war billiger DDR-Fusel und schmeckte schauderhaft. »Macht euch nichts daraus«, wieherte Kostja, als die beiden angewidert die Gesichter verzogen, »ihr werdet euch schon daran gewöhnen!« Danach umarmte er sie und verschwand. Mit einem abstoßend saueren Geschmack im Mund ließ Nikolai sich wieder auf seine Matratze fallen und sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Die Aufgaben der KGB-Offiziere in den im Ausland stationierten Sonderabteilungen bestanden darin, die Anwerbung von Sowjetbürgern durch westliche Geheimdienste zu verhüten. Sollten schon Personen angeworben worden sein, mussten sie identifiziert und neutralisiert werden. Außerdem galt es, Agenten feindlicher Spionagedienste im Umfeld der zu schützenden Truppenteile ausfindig zu machen, ebenso alle Gegner und Feinde der Sowjetunion. Um diese Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, brauchte man ein leistungsfähiges Netz von Informanten und Agenten. Der KGB litt an Personalknappheit. Die Einheiten, welche Nikolai zugeteilt wurden, waren bisher noch von keinem KGB-Offizier bearbeitet worden. Er erhielt die Vorgabe, innerhalb von drei Monaten mindestens zehn Agenten zu rekrutieren: zwei Offiziere, zwei Unteroffiziere, zwei gemeine Soldaten, zwei Offiziersfrauen und zwei Deutsche.
Derartige Zielvorgaben zwangen einen KGB-Mann, ausschließlich mit Druck und Drohungen zu arbeiten. Mit Bürgern der UdSSR hatte der KGB meist leichtes Spiel: Niemand konnte ohne Zustimmung des KGB Offizier werden, Berufssoldaten unterhalb der Offiziersränge konnten aus den Streitkräften ausgestoßen werden, wenn sie sich nicht kooperativ verhielten. Auch Zivilpersonen drohte die Entlassung aus der Erwerbstätigkeit und damit die Verfolgung als »arbeitsscheues Element«, die Verweigerung der Aufnahme in Forschungs- und Lehranstalten oder auch das Verbot von Auslandsreisen. Die unglaubliche Macht eines KGB-Offiziers wurde Nikolai unheimlich. In der ihm zugeteilten Division war vom Kommandeur bis zum letzten Rekruten jeder von ihm abhängig. Er entschied über die politische Zuverlässigkeit der Männer, musste Beförderungen zustimmen und konnte das künftige Schicksal Hunderter Menschen und Familien lenken. Die kriecherische und gleichzeitig ängstliche Freundlichkeit, mit der Majore und Obersten ihm begegneten, war ihm zunächst peinlich, später widerte sie ihn an.
Nikolai begann mit der Anwerbung von oben. Zunächst brauchte er einen zuverlässigen Informanten im Kommandostab des Regiments, der ihn mit allen wichtigen Details über die ihm unterstellten Offiziere versorgen musste. Seine Wahl fiel auf Major Jakutskin. Er besaß viele Freunde im Regimentskommando, die ihm ihr volles Vertrauen schenkten und ihn häufig um Rat und Hilfe ersuchten. Ebenso pflegte er gute Beziehungen zu seinen Vorgesetzen. Beides gleichzeitig anzutreffen war ein Glücksfall für den KGB. Nikolai trug alle verfügbaren Informationen über Jakutskin aus den Akten des KGB und der Streitkräfte zusammen und schloss Bekanntschaft mit ihm. Sie trafen sich mehrmals im Offizierskasino zum Billard- oder Schachspielen. Nikolai plauderte dabei über alltägliche Themen und spürte hinter der aufgesetzten Kameradschaftlichkeit Jakutskins Argwohn. Eines Abends schließlich bat er ihn um ein paar Minuten seiner Zeit und zog sich mit ihm an einen abgelegenen Tisch zurück.
»Haben Sie schon einmal daran gedacht, mit dem KGB zusammenzuarbeiten?«, eröffnete Nikolai das Gespräch im unverfänglichen Ton.
»Wissen Sie, Genosse Leutnant«, erwiderte der Major steif, »ich bin hier so sehr beschäftigt, dass ich darüber wirklich noch nie nachgedacht habe.«
»Ja, Sie leisten hervorragende Arbeit«, sagte Nikolai, »aber Sie könnten Ihrem Mutterland noch viel mehr helfen, wenn Sie künftig mit mir kooperieren würden.«
»Ihr Angebot ehrt mich«, Jakutskin öffnete den obersten Knopf seiner Uniform, »aber ich glaube, Sie überschätzen mich, Genosse. Meine Gesundheit
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