Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
stockte der Atem, als sie die Züge des Phantombildes wiedererkannte. Sie stand auf, streckte sich und schaute sich scheinbar suchend um.
»Hätten Sie vielleicht ein Stückchen Kautabak für mich?«, fragte Herbst und ließ sich ungewöhnlich schnell neben dem verdutzten Mann nieder.
»Sie sitzen auf meinem Rucksack«, entgegnete der Russe in gutem Deutsch.
»Tatsächlich? Oh, das tut mir Leid …«
»Herr Kashevski«, plötzlich war Renan vor ihm aufgetaucht. Sie hielt ein Frottee-Knäuel in der rechten Hand, aus dessen Mitte der Lauf ihrer Dienstwaffe ragte. »Kriminalpolizei. Sie sind hiermit wegen Mordverdachts verhaftet. Bitte machen Sie keine Dummheiten!«
Gleichzeitig hatten ihn die Kollegen von links und rechts mit vier ähnlichen Handtuch-Wülsten umstellt.
Jetzt saß ihr der Russe im Verhörzimmer gegenüber und sagte nichts außer seinem Namen, Alter und sozialen Status. Renan lehnte sich zurück und betrachtete den Mann eingehend. Er war fast zwanzig Jahre älter als sie und hatte so gut wie keine grauen Haare. Die Nase war etwas spitzer als auf dem Phantombild und die Augen waren von einem hellen, aber dennoch tiefen Blau. Er war etwa eins siebzig groß und gut gebaut, leichter Bauchansatz – nicht unattraktiv. Seine Hände waren etwas zu groß und sehr kräftig. Im Großen und Ganzen wirkte er nicht unsympathisch.
»Na, Ihr Pflichtverteidiger tut mir jetzt schon Leid«, sagte sie nach einer guten Viertelstunde Schweigen.
Er sagte nichts.
»Rauchen Sie?«, sie nahm Alfreds Zigarette und hielt sie hoch.
Der Russe musterte den Eigenbau kurz, akzeptierte dann und ließ sich Feuer geben.
»Spasibo«, sagte er.
»Poschaluista«, entgegnete sie und entlockte ihm damit ein leichtes Lächeln.
»Guten Abend, meine Herren«, Anna Schwarz betrat den Raum, als Heinrich gerade wieder gehen wollte und Alfred sich eine neue Zigarette drehte.
»Frau Staatsanwältin«, Alfred sprang auf, »jetzt sagen Sie bloß, dass Sie hierfür zuständig sind!«
»In der Tat, Herr Albach«, sie setzte sich und legte eine Akte auf den Tisch. »Das ist ja mörderisch heiß hier!«
»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?«
»Gerne«, die Staatsanwältin öffnete die Akte, »der Kollege Klatte liegt mit einer schweren Sommergrippe im Bett, deswegen habe ich diesen Fall vorerst übernommen. Jetzt wollte ich mich mal nach den Fortschritten erkundigen.«
»Sehen Sie selbst«, Alfred deutete auf den durchsichtigen Spiegel, auf dessen anderer Seite Renan und der Russe sich schon seit fünf Minuten anschwiegen.
»Ist das nicht Ihre Kollegin, die den Mann fast im Alleingang verhaftet hat?«, fragte die Staatsanwältin.
»Um Gottes Willen«, Alfred hob die Hand, »erinnern Sie mich nicht daran, ich habe jetzt noch weiche Knie!«
»Das war doch sehr mutig«, sie schüttelte leicht den Kopf.
»Ich hätte es mir trotzdem nie verziehen, wenn ihr etwas zugestoßen wäre.«
»Zum Glück war er unbewaffnet«, sagte Heinrich, »andernfalls hätte das böse enden können.«
»Unterschätzen Sie die Frauen nicht!«, mahnte Anna. »Und jetzt weigert er sich auszusagen, oder wie?«
»Das Einzige, was er immer wieder sagt, ist sein Name, sein Alter und dass er arbeitslos ist«, seufzte Alfred.
»Wie früher bei Kriegsgefangenen«, ergänzte Heinrich, »Name, Rang und Dienstnummer, mehr wird nicht gesagt.«
»Wobei ihm die Kollegin Müller vor kurzem schon ein danke entlocken konnte«, Alfred hob den Zeigefinger.
»Schlecht«, schloss Anna, »ganz schlecht. Will er keinen Rechtsbeistand?«
»Vielleicht will er einen«, Alfred zuckte mit den Schultern, »aber das müsste er uns ja mitteilen.«
»Wie lange wird er das noch durchhalten?«
»Schwer zu sagen«, Alfred legte die Stirn in Falten, »aber wenn’s drauf ankommt, kann der noch Monate so weitermachen, glaube ich.«
»Der ist stur«, stimmte Heinrich zu.
»Vielleicht auch nur clever«, entgegnete Anna nachdenklich.
»Die Beweislage ist sehr dürftig, und das wird er wissen oder zumindest ahnen. Wir haben nur die Angabe dieses Handwerkers, aus der hervorgeht, dass er das Mordopfer einmal gesehen hat …«
»Immerhin ist er kurz danach untergetaucht«, sagte Alfred, »nicht mal seine Frau wusste, wo er steckt. Und er führte mehrere tausend Dollar in bar mit sich.«
»Richtig. Das ist aber nicht strafbar«, sagte Anna, »es ist nur ein Indiz. Seiner Verhaftung scheint er sich ja auch nicht großartig widersetzt zu haben. Zum Glück haben Sie wenigstens diesen
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