Albert Schweitzer
verwirklichendes Reich verkündigt habe, sondern eines, das mit dem baldigen Anbruch der übernatürlichen Weltzeit zu erwarten sei“.
Schweitzers Hauptthema für die kommenden Studienjahre war gefunden. Er beschäftige sich – oft unterVernachlässigung der anderen theologischen Teildisziplinen – intensiv mit der Evangelienfrage und den Problemen des Lebens Jesu.
Neben Holtzmann schätzte Schweitzer auch seine anderen theologischen Lehrer: Karl Budde und Wilhelm Nowack (Altes Testament), Johannes Ficker und Ernst Lucius (Kirchen- und Dogmengeschichte), Paul Lobstein und Emil Mayer (Ethik und Dogmatik) sowie Friedrich Spitta und Julius Smend (Praktische Theologie und Neues Testament). Sie alle trugen durch ihre Lehrweise dazu bei, dass an der Theologischen Fakultät in Straßburg ein freisinniger Geist herrschte, die Studenten nicht bevormundet wurden und genügend Freiräume für selbständiges wissenschaftliches Arbeiten hatten. Parallel zur Theologie betrieb Schweitzer seine philosophischen Studien und bildete sich im musikalischen Bereich weiter. Hier wurde er mit Ernst Münch, dem Bruder seines Mühlhauser Orgellehrers, bekannt und durch ihn bereits als junger Student mit den Schöpfungen Johann Sebastian Bachs vertraut. Schon bald durfte Schweitzer zunächst in Proben und wenig später auch in Aufführungen von Bachkonzerten den Orgelpart übernehmen. Die lebenslange musikalische Liebe zum Leipziger Thomas-Kantor war begründet. Neben Bach zeigte sich Schweitzer von Richard Wagner besonders beeindruckt. Um die Kosten für eine Reise zu den Bayreuther Aufführungen 1896 bestreiten zu können, begnügte sich Schweitzer zeitweise mit nur einer Mahlzeit am Tag. Diefreundschaftliche Verbundenheit zwischen den Wagners und Schweitzer ist durch den Briefwechsel zwischen ihnen dokumentiert.
Im Sommer 1897 meldete sich Schweitzer zur ersten theologischen Prüfung. Um zugelassen zu werden, mussten alle Kandidaten innerhalb von acht Wochen eine schriftliche Arbeit vorlegen. Thema war „Schleiermachers Abendmahllehre, verglichen mit den im Neuen Testament und in den reformatorischen Bekenntnisschriften niedergelegten Auffassungen“. Während der Arbeit an diesem anspruchsvollen Thema gab eine Bemerkung aus Schleiermachers „Glaubenslehre“ Schweitzer viel zu denken. Schleiermacher „macht darauf aufmerksam, dass nach den Berichten über das Abendmahl bei Matthäus und Markus Jesus die Jünger nicht aufgefordert habe, das Mahl zu wiederholen, und wir uns also möglicherweise mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass die Wiederholung der Feier auf die Jünger und nicht auf Jesum selber zurückgehe“. Schweitzer war der Meinung, dass diese Äußerung Schleiermachers in ihrer historischen Tragweite nicht gründlich genug reflektiert worden sei und kam für sich zu dem Schluss: „Fehlt, so sagte ich mir, der Wiederholungsbefehl in den beiden ältesten Evangelien, so will dies heißen, dass die Jünger diese Mahlfeier mit den Gläubigen tatsächlich aus eigener Initiative und Autorität wiederholten. Dies konnten sie aber nur tun, wenn es in dem Wesen jenes letzten Mahles Jesu lag, dasses auch ohne das Reden und Handeln Jesu sinnvoll war. Da aber keine der bisherigen Erklärungen des Abendmahls begreiflich machte, wieso es ohne einen dahin gehenden Befehl Jesu in der Urgemeinde in Aufnahme kommen konnte, ließen sie, so musste ich schließen, das Abendmahlsproblem ungelöst. So kam ich dazu, der Frage nachzugehen, ob die Bedeutung, die jenes Mahl für Jesus und seine Jünger hatte, nicht mit der Erwartung des in dem baldigst kommenden Reiche Gottes zu feiernden messianischen Mahles in Zusammenhang gestanden habe.“ Auch hier war der Grundstein für weiteres theologisches Arbeiten gelegt, denn Schweitzer sollte mit seiner theologischen Dissertation 1900 eine gründliche Studie über das Abendmahlsproblem vorlegen.
Anfang Mai 1898 bestand Schweitzer die erste theologische Prüfung, das sogenannte Staatsexamen. Den Sommer des Jahres widmete er dann ganz den philosophischen Studien, war sehr angetan von Windelbands Seminarübungen zu Platon und Aristoteles sowie Zieglers Veranstaltungen zur Ethik und Religionsphilosophie.
Schweitzer erhielt ein Stipendium von 1 200 Mark pro Jahr und ging damit die Verpflichtung ein, innerhalb von sechs Jahren den Grad eines Lizentiaten [= Doktor] der Theologie zu erwerben. Theobald Ziegler empfahl ihm, zunächst die philosophische Dissertation zu schreiben, und schlug als Thema
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