Albert Schweitzer
Aufgabe. Wir werden immer mit Negativem und Bösem konfrontiert sein, doch das, so Schweitzer, sollte uns nicht entmutigen, sondern anspornen, umso entschiedener an die geistige Kraft des Guten zu glauben und sie im eigenen Leben Wirklichkeit werden zu lassen. Die Ideale der Jugend sollen wir nicht resigniert wie lästigen, unnützen Ballast abschütteln, wenn wir als vermeintlich reife, vernünftige Menschen eingesehen haben, dass die harte Realität des Lebens anders ist. Schweitzer schreibt: „Das große Geheimnis ist, als unverbrauchter Mensch durchs Leben zu gehen. Solches vermag, wer nicht mit den Menschen und den Tatsachen rechnet, sondern in allen Erlebnissen auf sich selbst zurückgeworfen wird und den letzten Grund der Dinge in sich sucht.“ Und als pädagogische Aufgabe der Erwachsenen sah er denn auch, den jungen Menschen nicht den Glauben an ihre Ideale auszutreiben, sondernihnen zu helfen, in ihre Ideale hineinzuwachsen, damit das Leben sie ihnen nicht zerstören kann. So konnte Schweitzer mit ehrlicher Überzeugung sagen: „Wenn die Menschen das würden, was sie mit vierzehn Jahren sind, wie ganz anders wäre die Welt!“ Schweitzer war von der Kraft der Wahrheit, Liebe, Friedfertigkeit, Sanftmütigkeit und Gütigkeit überzeugt. „Was ein Mensch an Gütigkeit in die Welt hinausgibt, arbeitet an den Herzen und am Denken der Menschen. Unsere törichte Versäumnis ist, dass wir mit der Gütigkeit nicht ernst zu machen wagen. Wir wollen die große Last (des Lebens) wälzen, ohne uns des die Kraft verhundertfachenden Hebels zu bedienen.“
Er vertraute auf die Kraft des denkend und mitfühlend gewordenen Mitmenschen und appellierte immer wieder
an den einzelnen Menschen
. Wo sich die Kräfte vieler Einzelner bündeln, kann – so seine Hoffnung – die Macht des Bösen eingedämmt und überwunden werden. Er schloss seine feinfühligen Betrachtungen mit den Worten: „Eine unermesslich tiefe Wahrheit liegt in dem fantastischen Worte Jesu: ‚Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.‘“
Am 19. Februar 1965 schrieb Schweitzer einen Brief an den Lehrer und die Schulkinder von Günsbach, in dem er sich herzlich für deren Glückwünsche zu seinem neunzigsten Geburtstag bedankte. Dieser Brief ist ein wundervolles Dokument eines alten Mannes, der offenund dankbar Rückschau über seine Schulzeit hält. Ich möchte diesen Abschnitt mit einigen Auszügen aus diesem Schreiben, das mir für das eigene berufliche Verständnis wertvoll geworden ist, beschließen. Schweitzer schreibt: „Als ich in die Schule kam, war ich sehr schüchtern. Aber mein Freund Hans Demangeat, der älter war als ich, verteidigte mich, wenn die großen Schüler mich herumstoßen wollten. Zuerst war ich ein schlechter Schüler, sehr brav. Hans Demangeat half mir bei den Aufgaben.“ Lediglich in Geschichte und Geografie konnte er mit guten Kenntnissen aufwarten, auch beeindruckte er seine Lehrerin und die Mitschüler mit seinen Fertigkeiten auf dem Harmonium.
Seine Realschulzeit bezeichnete er als traurigen Abschnitt, weil er von den Günsbacher Schulkameraden weggehen musste. Auch der Besuch des Mühlhausener Gymnasiums stand für ihn zunächst unter keinem guten Stern, wie wir schon gehört haben. „Ich war der schlechteste Schüler der Quinta des Mühlhauser Gymnasiums und wurde ganz mutlos.“ Nachdem er knapp einem Schulverweis entkommen war, übernahm der schon erwähnte Dr. Wehmann die Klasse. „Schon in den ersten Wochen seines Unterrichts begann ich, fleißig zu arbeiten. Der neue Lehrer hatte Mitleid mit mir, er gab mir Privatstunden. Nach drei Monaten war ich unter den guten Schülern. Dieser Lehrer hieß Wehmann; er liebte mich wie ein Vater. Als ich mein Spital in Afrika gründete, blieb ich mit ihm in Verbindung. Er wurde Lehreram Straßburger Gymnasium. Als ich gegen Ende des Krieges nach Straßburg zurückkam, erfuhr ich, dass er während des Krieges in Straßburg an Hunger gestorben war.“
Der berührende Brief zeigt, wie grundlegend ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern ist. Es war die persönliche Zuwendung des Lehrers, die den Wandel in dem heranwachsenden Albert bewirkte. Zu sehen, dass einer mutlos geworden war, sich ihm in Mitgefühl zuzuwenden, ja, ihm in Liebe zu begegnen – das waren die entscheidenden Impulse, die dem an sich Zweifelnden den Glauben an sich selbst und die Freude am Lernen vermittelt haben. Schweitzer war seinem Lehrer Dr. Wehmann
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