Albert Schweitzer
Schweitzer“.
Aus diesem Brief spricht dreierlei: der Rückblick auf das mit Liebe und Mühe geschaffene Lebenswerk; die Müdigkeit durch die vielen Jahre der Überanstrengung („Aber dann mache ich Halt“); Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft („Wann kommst du wieder zu uns?“).
Über das Motiv, Lambarene zu wagen, schrieb Schweitzer einmal: „Im Vertrauen auf die elementare Wahrheit, die dem Gedanken der ‚Brüderschaft der vom Schmerz Gezeichneten‘ innewohnt, habe ich das Spital zu Lambarene zu gründen gewagt. Sie wurde begriffen und macht ihren Weg.“
Wo Licht ist, ist auch Schatten. So wundert es nicht, dass sich auch Kritiker an Lambarene und Schweitzer zu Wort meldeten. Die wohl schärfste Lambarene-Kritik stammt von Gerald McKnight, dem ein einziger Rundgang durch das Spitaldorf offensichtlich genügte, um Schweitzers Werk in Bausch und Bogen zu diskreditieren. Sein „Verdict on Schweitzer“ (Schuldspruch über Schweitzer) ist ein Pamphlet, in dem die Person Schweitzers als autokratisch, starrköpfig, egomanisch dargestellt und das Spital als hoffnungslos rückständig, unhygienisch, der Zivilisation nicht würdig abgestempelt wurde. McKnights höchst einseitige Schmähschrift wurde ihrerseits heftig kritisiert.
1964 veröffentlichte Roman Brodmann, ein Schweizer Schriftsteller, der mit einem deutschen Fernsehteam zwei Jahre zuvor Lambarene besucht hatte, seinen Erfahrungsbericht. Nachdem er mit zum Teil ergreifenden Worten schilderte, welch tiefen Eindruck der Mensch Albert Schweitzer und die Atmosphäre im Spital auf ihn gemacht hatten, kam Brodmann auf das eigentliche Anliegen seines Besuches zu sprechen: „Ich sitze in meinem Zimmer und überdenke die Erfüllung unseres Auftrags in Lambarene. In diese Gedanken fällt immer wieder die Überlegung, welches wohl die Wurzeln des publizistischen Diskriminierungsfeldzuges sind, der seit Jahren gegen Schweitzers Werk im Gange ist. Will man den unbequemen Freigeist treffen, indem man den ‚rückständigen Mediziner‘ kritisiert? Will man sein Manifest gegen die Atomrüstung entwerten, indem man den Verfasser als starrsinnigen und weltfremden Geist apostrophiert, der gerade noch für die erste Jahrhunderthälfte beispielgebend wirken konnte? Ist er das Opfer geltungsbedürftiger und oberflächlicher Journalisten …? Einiges davon mag zusammenspielen, nicht zuletzt die Propaganda der Progressisten, in deren großsprecherisches Bild der Entwicklungshilfe Schweitzers Urwaldhütten nicht mehr passen.“ Brodmann war in der Absicht nach Lambarene gereist, den Vorwürfen auf den Grund zu gehen. Er kam zu eindeutigen Resultaten:
„Ich bin mit einem Katalog notorischer Behauptungen nach Lambarene gekommen. Hier ist er:
1.
Albert Schweitzer sträubt sich gegen jeden medizinischen Fortschritt und besteht darauf, seine schwarzen Patienten mit völlig veralteten Methoden zu behandeln
. – Die Wahrheit: Das Urwaldspital ist ausgerüstet und arbeitet mit allen modernen Hilfsmitteln der Medizin und Pharmakologie.
2.
Albert Schweitzer, der ein Feind der Motoren und der Technik ist, widersetzt sich hartnäckig allen elektrischen Einrichtungen, die dringend nötig wären
. – Die Wahrheit: Zwei Dieselgeneratoren versorgen die Behandlungsräume des Spitals mit elektrischem Strom verschiedener Spannungen, nämlich den Operationssaal und seine Nebenräume, die Apotheke, das Labor, die Konsultationsräume, das Röntgenzimmer und den Raum für Zahnbehandlung.
3.
Albert Schweitzer gefährdet mit unsachgemäßen Eingriffen das Leben seiner Patienten
. – Die Wahrheit: Schweitzer selbst ist seit vielen Jahren als Mediziner nicht mehr aktiv. Vier tüchtige Ärzte (zwei Schweizer, ein Ungar, ein Japaner) erzielen bei jährlich über sechstausend Patienten ausgezeichnete Heilerfolge, die sogar über dem europäischen Durchschnitt liegen. Das Instrumentarium des Operationssaals und viele andere Einrichtungen gehen über den Anspruch eines schweizerischen Bezirksspitals hinaus.
4.
Albert Schweitzer lässt seine schwarzen Patienten nach wie vor in armseligen Hütten ohne Toiletten, ohne fließendes Wasser, ohne elektrisches Licht liegen, während in Lambareneselbst ein hochmodernes Regierungskrankenhaus mit zeitgemäßem Komfort funktioniert
. – Bei diesem imposanten Vergleich, der
Pièce de rèsistance
aller mutgeladenen Kritiker vom schweizerischen Wochenblatt bis zur amerikanischen ‚Time‘, muss ich etwas ausführlicher verweilen.
Schweitzers Patienten
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