Albert Schweitzer
liegen tatsächlich in Hütten und Baracken wie vor zwanzig oder dreißig Jahren, nämlich genau so, wie sie es heute noch zu Hause auf ihren Dörfern gewohnt sind. Ihr Spitalaufenthalt entspricht ihren Lebensgewohnheiten und ihrem Lebensstandard. Ihr dörfliches Leben setzt sich im Urwaldspital fort, denn die Kranken bringen gesunde Angehörige mit, die werdenden Mütter ihre bereits vorhandenen Kinder. Albert Schweitzer und seine Ärzte denken nicht daran, allein der modischen Entwicklungshilfe-Optik wegen einen sinnlosen Komfort europäischen Musters hochzustapeln. Wie recht sie damit haben, zeigt sich gerade im vielzitierten Regierungshospital in Lambarene.
Ich weiß nicht, wie viele Oberflächenreporter sich die Mühe nahmen, dieses Krankenhaus nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu besuchen. Ich fand dort einen jungen französischen Arzt, der für den Betrieb des Hauses allein verantwortlich ist. Er führte mich in dem schmutzstarrenden Steinbau (Time-Magazin: ‚A modern antiseptic hospital‘) herum, zuckte resigniert die Achseln und sagte: ‚Was soll ich machen? Ich bin keine Putzfrau, sondern Arzt.‘ Da stehen Eisenbetten. Die Matratzen sehenaus wie Vagabundenlager und sind ein Dorado für Krankheitserreger. Der Operationssaal ist mangelhaft eingerichtet, aber das tut nicht viel zur Sache, denn es fehlt ohnehin ein zweiter Arzt, der bei einer einigermaßen anspruchsvollen Operation assistieren könnte. Kompliziertere Fälle schickt der
Docteur
über den Fluss: zu Albert Schweitzer. Die Betten im Regierungskrankenhaus sind knapp zur Hälfte belegt; Schweitzers Spital ist überfüllt und wird ständig erweitert. Das ist die Wahrheit über Lambarene.“
Abschließend noch ein Blick auf die Jahrzehnte nach Schweitzer und in die Gegenwart des Spitals.
In Schweitzers Todesjahr verfügte das Spital nach Walter Munz über 478 Patientenbetten; im Lepradorf (
Village de Lumière
genannt) war Platz für 150 Kranke. Fast genau 6 000 Patienten wurden in diesem Jahr behandelt. Vorausschauend hatte der alte Albert Schweitzer noch dafür gesorgt, dass ausreichend gebaut wurde. „Ich baue jetzt noch. Ihr habt danach genug andere Probleme“, hatte er seinem Nachfolger Walter Munz gesagt.
1965 kam der Augenchirurg Dr. Iverson für einige Monate nach Lambarene und gab seine Erfahrungen weiter. So konnten fortan im Spital auch Augenoperationen, hauptsächlich am grauen und grünen Star, durchgeführt werden. Im Oktober 1972 übernahm die medizinische Fakultät der Universität Bern ein Patronat für Lambarene. Dadurch wurde die Ausbildung von Medizinstudentenin Schweitzers Spital finanziell abgesichert. Bis 2005 wurden insgesamt 132 angehende Mediziner in Lambarene ausgebildet. Die Spitalapotheke wurde 1973 neu organisiert. Sämtliche Bauten des Spitals umgab man mit betonierten Wassergräben. Die wichtigsten Gebäude bekamen elektrisches Licht. Zum 95. Geburtstag Schweitzers (14. Januar 1970) konnten drei neue Häuser eingeweiht werden: die Zahnklinik, das „Centre Culturel Albert Schweitzer“ (Unterrichtsraum für Krankenpflegeschüler, Aufenthaltsraum, Bibliothek und Versammlungsort für Gottesdienste) und ein Haus für insgesamt 80 kriegsgeschädigte Kinder aus Biafra. Außerdem baute der Staat Gabun mit holländischer Entwicklungshilfe zwei große Brücken über den Ogowe, was die Verbindung zur Hauptstadt Libreville erheblich vereinfachte.
Im ersten Jahrzehnt nach Schweitzers Tod begann man mit der systematischen Ausbildung afrikanischer Mitarbeiter, die in den Folgejahren ausgeweitet wurde. „Hilfe zur Selbsthilfe“ war das Motto bei der Einbindung Einheimischer.
Am 17. Januar 1981 konnte mit großen Feierlichkeiten ein neues Spital eingeweiht werden, von dem der Gesundheitsminister Mamiaka mit Stolz sagte, es sei „vielleicht das beste Krankenhaus meines Landes und wohl eines der bedeutendsten auf dem afrikanischen Kontinent“. Zweieinhalb Monate später wurde das Forschungslabor eröffnet – ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des Spitals. Bis 2005 haben etwa 70 Forscherin diesem Labor ihre Diplomarbeiten, Dissertationen oder Habilitationsschriften vorbereitet oder abgeschlossen. Walter Munz resümierte: „So hat die von Anfang an vielfältige ärztliche Arbeit in Lambarene heute vier Hauptakzente: 1. die heilende Tätigkeit, welche seit dem Anfang die wichtigste war; 2. die vorbeugende Medizin, deren Bedeutung immer deutlicher erkannt wird; 3. die Ausbildung in allen ärztlichen
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