Albertas Schatten
gesprochen?«
»MLA-Kongresse.«
»Ach ja. Und du bleibst zwischen Weihnachten und Sylvester zu Hause, mit nichts als Ruhe und Frieden um dich herum.«
»Und Reed. Es hat sich herausgestellt, daß das für ihn die beste Zeit des Jahres ist. Sogar wenn man für Massenmorde zuständig ist, gelingt es der Staatsanwaltschaft, die Angelegenheit bis zum Morgen des Neujahrstages zurückzuhalten. Ja, ich hasse Kongresse. Man scheint immer den falschen Leuten über den Weg zu laufen und die richtigen zu verfehlen. Ich bin einmal zu einem gegangen, weißt du, aber das ist eine Ewigkeit her. Die Sitzungen verliefen immer gleich: Ein alter (so schien es mir damals) männlicher Professor stellte irgendwelche aufgeblasenen Theorien auf, und ein paar auserwählte Schüler hielten unübertroffen langweilige Referate. Ich hatte das Gefühl, die ganze Struktur bräche mit einem Schlag in sich zusammen, falls jemand etwas Interessantes sagen würde. Und nie konnte man irgendwo etwas trinken oder ein Sandwich bekommen oder sich frisch machen; dazu mußte man in sein Zimmer gehen, was die Be-nutzung des Aufzugs erforderte; der fuhr aber immer nur aufwärts und niemals abwärts. War mein Eindruck falsch?«
»Die Aufzüge sind dieselben geblieben, aber alles andere hat sich verändert. Die Professoren alten Stils beklagen sich, daß ihre Vorlesungen immer leer sind, weil sie zur falschen Zeit angesetzt sind oder gleichzeitig mit einer über Autobiographien von Schwarzen oder lesbische Lyrik in Texas.«
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Das sagen sie. In der letzten Zeit gibt es ungeheuer aufregende Themen, und die alte Garde ist so gut wie weg vom Fenster. Man hat sogar gehört – und hier mußt du die Stimme senken, wenn Frauen anwesend sind –, man hat also gehört, wie sie sich verzweifelt beschweren, weil es sogar Vorlesungen über mißglückte Ehen in der Literatur gibt; kannst du dir das vorstellen! Woher eigentlich dieses plötzliche Interesse? Hat man dich aufgefordert, im Programmausschuß mitzuwirken?«
»Wohl kaum. Aber du hast mich inspiriert, Susan. Willst du damit sagen, daß auch Vorlesungen über weniger bedeutende Autorinnen gehalten werden, beispielsweise Charlotte Stanton?«
»Die, die all diese tollen Romane über das alte Griechenland geschrieben hat? Das ist sehr wahrscheinlich, meine Liebe. Du könntest es bei der Popular Culture Association versuchen. Sie tagt nicht zu Weihnachten und hält Seminare über so herrliche Sachen wie Pornographie und Poker. Ich glaube, die Polizei aus einer Stadt im Süden hat tatsächlich an einem dieser Pornographieseminare teilgenommen, und man fand sie zum Schluß allesamt in tiefem Schlaf; die hatten anstößige Bilder erwartet und nicht eine Analyse der Pornographie.«
»Charlotte Stanton würde sich bei diesem Gedanken im Grabe umdrehen; aber wahrscheinlich haben auch die Typen von der Popular Culture solche Plastikanstecker.«
»Ich vermute, wir sind auf Spurensuche?«
»Allerdings. Auch wenn es nur der Hauch einer Möglichkeit ist.
Wie kann ich herausfinden, über welche Themen die MLA Seminare abgehalten hat?«
»Na ja, du könntest in eine Bibliothek gehen und in den MLA-Bänden nachsehen. Im letzten Band eines jeden Jahres ist das Jah-resprogramm des Kongresses abgedruckt. Oder du könntest, reich und faul wie du bist, jemand anheuern, das für dich zu tun. Oder du könntest zur MLA-Verwaltung gehen und dich dort der Gnade dieses Kongreßvölkchens ausliefern. Warum versuchst du das nicht einfach? So bekommst du ein Gefühl für die Atmosphäre dort. Aber, paß auf! Sie könnten finden, daß du einen vielversprechenden Eindruck machst und dich für einen Aussschuß vorschlagen.«
»Arbeiten die Leute denn nicht gern in diesen Ausschüssen?«
»Die meisten sind ganz wild darauf, meine Liebe. Du wirst aus dem finstersten Kansas oder Missouri nach New York bugsiert, in ein Hotel gesteckt und nur tagsüber in den Sitzungsräumen des MLA-Hauptquartiers eingesperrt. Wenn man in New York lebt, widersteht man diesen Versuchungen leichter, niemals aber der Versuchung, dem Berufsstand zu dienen.«
»Und was ist mit der französischen psychoanalytischen Theorie, jetzt nachdem Lacan gestorben ist«, fragte Kate.
»Alle Meister mit Ausnahme von Derrida sind tot«, sagte Susan.
»Wir blicken auf Iragaray und Cixous und Kristeva und hoffen auf große Dinge. Wollen wir uns noch einen Wein bestellen?«
Die Zentrale der Modern Language Association gleicht aufs Haar dem
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