Albertas Schatten
Sicherheitsnadel auf der Rückseite hin.
»Wenn du so viel wie ich in Nobel-Verbrechen herumgestochert hättest, meine Liebe, würdest du das erkennen: Es ist ein Anstecker für Namensschildchen, wie sie auf Kongressen benutzt werden. Man gibt dir so eine Plastikanstecknadel, in die du ein Schild mit deinem Namen schiebst; dann steckst du dir das Ganze ans Revers oder ans Kleid als Erkennungsmarke.«
»Ach ja, natürlich. Wie dumm von mir, nicht darauf zu kommen«, sagte Kate.
»Ganz und gar nicht dumm. Nach meiner Erfahrung bist du Meister im Fernbleiben von Kongressen. Wann hast du das letzte Mal an einem teilgenommen und sei es auch nur an einem von deinem Be-rufsverband?«
»Die MLA. Natürlich. Reed, du bist ein Genie. Wann habe ich dir das zuletzt gesagt?«
»Habe ich dich auf eine Idee gebracht? Was bedeutet eigentlich
›Modern‹ in Modern Language Association?«
»Modern Language Association of America – ›modern‹ heißt hier ›nicht Griechisch oder Latein‹. Ich würde es nicht Idee nennen; nur den Hauch einer Ahnung. Hast du sonst noch einen tollen Vorschlag?«
»Nein. Da nun alle Hinweise nach England zu deuten scheinen, werde ich diese offensichtliche Tatsache nicht weiter erwähnen – ich hatte nämlich gehofft, wir würden unseren nächsten Urlaub hier verbringen; allerdings muß ich zugeben, daß es nicht viele andere Anhaltspunkte zu geben scheint.«
Es ergab sich, daß Kate am nächsten Abend mit einer Freundin vom Hunter College zum Dinner verabredet war; sie war Professorin für Französisch, und Kate konsultierte sie gern, wenn Fachberichte aus Frankreich und die provokative und dennoch schwerfällige französische Philosophie sie verwirrten. Susan und Kate sahen sich von Zeit zu Zeit, wie das unter Kollegen so üblich ist; sie verfolgten dabei keinen bestimmten Zweck und trafen sich einfach nur zum Vergnügen und um sich gegenseitig die Geschichten akademischer Auswüchse zu erzählen. Taten Männer so etwas auch? Kate fragte sich das manchmal ernsthaft. Ihr Eindruck – wenn auch nicht bewiesen – war, daß ihre männlichen Kollegen sich entweder regelmäßig trafen, um wie Kumpel miteinander zu reden, zu trinken und Squash zu spielen, oder nichts dergleichen taten, wie Rüden im selben Revier.
»Weißt du zufällig etwas über die MLA-Kongresse?« fragte Kate sie nach einer Weile. Ihr Gegenüber sah sie mit weit aufgerissenen blauen Augen an und hörte auf zu kauen.
»Eine Frage, die nur du stellen kannst«, sagte sie schließlich.
»Hast du denn nie etwas mit Einstellungsgesprächen zu tun?«
»Sicher. Aber meistens handelt es sich dabei um akademisches Personal, da finden die entsprechenden Gespräche gemütlich beim Lunch oder weniger gemütlich beim Dinner auf heimischem Boden statt, d.h. im Fakultäts-Club. Ist das der einzige Grund, dahin zu gehen?«
»Man fährt hin, um Referate zu halten, Referate zu hören, entfernte Freunde wiederzusehen, ein kleines Abenteuer zu erleben, wenn die Umstände es erlauben, oder um – wie in meinem Fall – von den Kindern fortzukommen und das zur schlimmsten Jahreszeit.
Aber ich nehme an, keiner dieser Gründe hat dich je in Versuchung geführt.«
»Ich dachte immer, zu Weihnachten krallt man sich an seinen Kindern fest, tauscht Geschenke aus und erzählt ihnen etwas über die drei Weisen aus dem Morgenland.«
»Sehr witzig. Ich habe festgestellt, daß Leute ohne Kinder sich nie die Mühe machen, darüber nachzudenken, in welch glücklicher Lage sie sich befinden; das wäre schlecht für die Moral. Weihnachten ist die Hölle, und ich glaube, man hat Kongresse ursprünglich so gelegt, damit die Männer, die die Organisation übernommen hatten, Frau und Kinder allein lassen, über Literatur diskutieren und ihre Zeit auf herrlich nichthäusliche und erwachsene Weise verbringen konnten. Als auch die Ehefrauen anfingen zu arbeiten, hat das die Lage kompliziert. Josh und ich wechseln uns ab: ein Jahr geht er, das nächste ich. Wir haben einmal versucht, die Kinder mitzunehmen; unsere Ehe hat das nur mit Mühe überstanden; obwohl man jetzt sogar die Kinder mitbringen kann und keine Hotelkosten für sie zu zahlen braucht. Das ist wohl eine Folge (neben vielen anderen) der neuen konservativen, familienfreundlichen Regierung in Washington. Natürlich sind manche schlau genug, Ehemänner beziehungsweise Ehefrauen zu haben, die in akademischen Disziplinen wie Religion arbeiten und zu einer anderen Jahreszeit tagen. Worüber haben wir
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