Albertas Schatten
durchblätterte. »Das war natürlich nur ein Beispiel«, fügte sie hinzu mit einem Anflug von Erstaunen, wie es Kate schien.
Kate ermunterte sie. »Wenn ich also wissen wollte, ob ein Seminar über Charlotte Stanton stattgefunden hat, würde ich unter…
hm… ›Englische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts‹ nachsehen.
Ist das richtig?«
»Das ist das System. Die Bezeichnung heißt britische Literatur und schließt irische und so weiter ein, nichtbritische Literatur in englischer Sprache oder amerikanische Literatur dagegen aus – sie sind getrennt eingeordnet; hier unter Zwanzigstes Jahrhunderte gibt es keine Charlotte Stanton, leider. Aber hier steht: ›Jean Rhys: Ge-denkkolloquium‹.« Es war wie ein Ersatzangebot. Kate hatte das Gefühl, der Anstand würde erfordern, daß sie sich für Jean Rhys entschied, obwohl Elmira, die ja den Umgang mit Universitätsleuten gewöhnt war, nicht den Eindruck machte, als erwartete sie das.
»Ich glaube, ich habe das System begriffen«, sagte Kate. »Wenn Sie erlauben, könnte ich selbst die braunen Novemberbände durchsehen, natürlich nur, wenn ich nicht störe.«
»Ganz und gar nicht«, sagte Elmira. »Aber es ist Ihnen doch klar, daß vielleicht niemals ein Seminar stattgefunden hat, das ausschließ-
lich Charlotte Stanton gewidmet war.«
»Ja, leider«, sagte Kate.
»Aber das heißt natürlich nicht, daß sie nicht Gegenstand eines Referates gewesen sein könnte, welches unter einer anderen Rubrik aufgeführt ist.«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Kate. »Das Thema im Verzeichnis könnte heißen ›Moderne britische und amerikanische Autoren, die griechische Vorlagen für populärwissenschaftliche Romane in englischer Sprache verwenden‹. Das würde eine noch genauere Nachforschung erfordern. Das sehe ich ein.«
»Also, machen Sie es sich bequem«, sagte Elmira. »Ich nehme an, dieser Tisch wird Ihnen zusagen; hier sind alle Kongreßprogramme seit 1980. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
Mehrere Tassen Kaffee und Kongreßprogramme später war Kate zu dem Schluß gekommen, daß kein Seminar über Charlotte Stanton stattgefunden hatte; das wäre auch allzu einfach gewesen, murmelte sie in sich hinein. Allerdings hatte es mehrere Seminare gegeben, die Charlotte Stanton möglicherweise mit einbezogen; und eines, in dem sie mit Sicherheit Thema war: Ihr Name war im Titel eines Referates aufgeführt, das unter der Rubrik »Romanciers in Oxford« stand. Da Kate beschlossen hatte, sich von der Gegenwart ausgehend zurück in die Vergangenheit durchzuarbeiten, war sie nicht im geringsten überrascht, im frühesten (und letzten) Katalog, nämlich in dem von 1980, auf dieses Seminar zu stoßen. Dieser Kongreß war in Houston abgehalten worden. Sie nahm ihre Entdeckung und die wenigen anderen Bände, die vielleicht etwas über Charlotte Stanton hätten enthalten können, und ging damit zu Elmira hinüber, die lächelte und hilfsbereit aussah.
»Wenn ich hiervon gerade noch Kopien machen könnte, werde ich gehen und versuchen, Sie nicht mehr zu belästigen«, sagte Kate und fügte hinzu, »es sei denn, Sie hätten Lust, mit mir zum Lunch zu gehen. Ich bin eingetragenes MLA-Mitglied.«
Elmira lächelte. »Das habe ich bereits festgestellt. Ich weiß auch ein wenig über Sie. Mehrere Male sind Sie dem Verwaltungsrat für irgendwelche Positionen in Kommissionen oder Komitees vorgeschlagen worden, aber man hatte immer gleich befürchtet, Sie würden ablehnen, was Sie dann ja auch getan haben.«
»Schuldig im Sinne der Anklage«, sagte Kate. »Aber ich unterstütze die Association als Sprachrohr der Geisteswissenschaften in diesen schlimmen Zeiten. So ist das. Lassen Sie sich von mir zum Lunch überreden; dann können Sie versuchen, mich davon zu überzeugen, daß ich etwas für die ML A tun muß.«
»Zum Lunch muß ich sowieso; auf diese Weise wird es ein Vergnügen.«
Nachdem Kate alle erforderlichen Kopien und Notizen gemacht hatte, landeten sie schließlich in einem pubähnlichen Restaurant am Universitätsplatz.
»Arbeiten Sie das ganze Jahr über an diesen Kongressen?« fragte Kate, nachdem beide bestellt hatten. »So, wie die Anstreicher an der George-Washington-Brücke, die am vorderen Ende wieder anfangen, kaum daß sie das hintere erreicht haben?«
»So ungefähr ist es«, sagte Elmira. »Abgesehen natürlich von der Teilnahme an Sitzungen des Verwaltungsrates und der Direktion und Gesprächen mit Leuten, die etwas über frühere Kongresse
Weitere Kostenlose Bücher