Albertas Schatten
Susan sie ermahnt. »Wenn sie dich hören, bleiben sie zwischen zwei Etagen stehen und lassen sich für Stunden nicht von der Stelle bewegen, oder sie sind einge-schnappt und weigern sich, die Türen aufzumachen.«
Eine Reihe von Mitteilungen erwarteten Kate; die meisten waren scherzhafte Kommentare von Freunden und Kollegen wegen ihrer Anwesenheit; sie hatten Kates Namen am schwarzen Brett gelesen.
Zwei hatten allerdings mit ihrer Suche nach der Ashby zu tun. Eine stammte von dem anonymen Schreiber, sie besagte: »Ich werde am ersten Abend des Kongresses, dem 27. um zehn Uhr an Ihre Zimmertür klopfen. Wenn Ihnen der Zeitpunkt nicht paßt, antworten Sie einfach nicht – natürlich auch, wenn Sie nicht da sind.« Kate sah auf ihre Uhr. Es blieben ihr noch fünf Minuten, um sich in einen der Aufzüge zu stürzen und in ihr Zimmer zurückzukehren. In der anderen Mitteilung, von dem Mann, der Alberta aus Ohio kannte, stand nur die Zimmernummer und daß er den ganzen Tag über beschäftigt sei, sich aber freuen würde, sie am 29. oder 30. zum Frühstück in seiner Suite einladen, zu dürfen. Kate konstatierte, daß die wichtigen Zusammenkünfte des Kongresses in der Tat zu sehr ungewöhnlichen Zeiten stattfanden. Kate hatte sich noch nie, aus welchem Grund auch immer, mit jemandem zum Frühstück verabredet, eine Einstellung, die sie, wie so viele andere, würde ändern müssen; diese Erfahrung hatte sie in späteren Jahren gemacht. Ihr wurde bewußt, daß sie praktisch keinerlei feste Einstellung zu irgendwelchen Dingen hatte und das war vielleicht gut so.
Zwei Minuten vor dem Klopfen hatte sie ihr Zimmer erreicht; sie öffnete die Tür und stand einem großen Mann von konventionellem Habitus gegenüber, der ihr die Hand schüttelte, sie um einen Drink bat und sagte, er habe von ihr gehört. Ob er dies als Kompliment für sich selbst oder für sie auffaßte, würde, wie Kate befürchtete, ebenso unklar bleiben wie die Motive der meisten seiner Äußerungen. Seine ganze Haltung und Körpersprache machten deutlich, was sein Hauptziel bei diesem und anderen Kongressen war. Während er sprach, bemerkte Kate sein Interesse an den sexuellen Reaktionen anderer, und wie er sie mit seinen eigenen verglich. Er trug einen Ehering und bestätigte so Kates eher zynische Einstellung der Ehe gegenüber. Aber Kate machte sich bewußt, daß all dies nur ein ganz spontanes Gefühl war. Es könnte ein Beweis für Jane Austens These über die Unzuverlässigkeit erster Eindrücke sein. Als er jedoch seinen Drink entgegennahm und weitschweifig zu reden begann, wurde deutlich, daß in manchen Fällen erste Eindrücke doch richtig waren.
»Kann ich mit Sicherheit ausschließen, daß Sie nach Beweisen für ein Scheidungsverfahren suchen?« fragte er Kate. Sie starrte ihn an. »Es kommt mir zwar nicht so vor, aber ich muß ganz sicher sein.
Diesem Teufelsweib möchte ich nicht gerade helfen, ihren Mann hereinzulegen.«
»Könnte da ein Mißverständnis vorliegen?« fragte Kate. »Ich ha-be den Eindruck, wir sprechen nicht von denselben Personen.«
»Ashby, haben Sie doch in Ihrem netten kleinen Inserat geschrieben. Alberta Ashby. Glauben Sie, daß es zwei davon gibt, beide mit Verbindungen zu dieser Schlampe, Miss Charlotte Stanton?«
Kate konnte es noch immer nicht glauben. »Wie alt ist Ihre Alberta Ashby?« fragte sie. Dieser Mann sprach sicher von einer jungen Frau.
»Geht auf die fünfzig zu, wenn Sie mich fragen. Na ja, vielleicht so vierundvierzig, fünfundvierzig. Ich sage das im Hinblick auf den Mann; der mag sie nicht jung und grün. Anders, als manch anderer von uns«, fügte er mit einem komplizenhaften Grinsen hinzu. Kate war froh, das zu hören, und schwieg.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte er und hielt ihr sein Glas zum Nachfüllen hin. »Meine Motive sind sicherlich finsterer Art, dennoch kann ich Ihnen wahrscheinlich helfen, Ihre Miss Ashby zu finden. Ich brauche allerdings eine kleine Ermutigung. Außer Alkohol«, fügte er hinzu, als Kate sein Glas nahm. Nicht zum ersten Mal in ihrer langen akademischen Karriere befand sich Kate in der Situation, daß sie Informationen von jemandem brauchte, dem sie liebend gern ihre wahre Meinung ins Gesicht gesagt hätte. Nicht sicher, ob sie erpreßt werden sollte oder ob das nur ein Annähe-rungsversuch war, schwieg Kate einfach; sie hatte festgestellt, daß Männer diese Haltung gern zu ihren Gunsten auslegten.
»Okay, ich sehe, Sie sind in einer miesen Lage. Aber
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