Albertas Schatten
das bin ich auch. Vielleicht können wir einander helfen.« Jetzt war die Ursache für Kates Schweigen allerdings echte und ungeschminkte Verblüf-fung. »Der Grund ist, ich brauche dringend Zutritt zur Bibliothek Ihrer Universität, und ich glaube, Sie können mir den verschaffen, wenn Sie ein bißchen darüber nachdenken. Entweder könnten Sie mich in eines dieser berühmten Universitätsseminare hineinbugsie-ren oder mich als Gasthörer nach der Promotion fördern; welchen Weg Sie wählen, überlasse ich Ihnen. Wenn Sie mich auch als das niederträchtigste Wesen betrachten, möchte ich Ihnen doch zusichern, daß ich keines der Bibliotheksbücher stehlen werde«, fügte er
– wie Kate zugeben mußte – mit einem gewissen Scharfblick hinzu.
»Meine Absichten in Bibliotheken sind durchaus ehrenhafter Art.«
Das alles passiert gar nicht mir, dachte Kate. So etwas passiert nicht im wirklichen Leben, das weiß jeder. »Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen«, sagte sie, da sie nun irgend etwas sagen mußte. Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt: Da Sie die Gewohnheit haben, anonyme Briefe zu schreiben, ganz zu schweigen von diesem Gespräch, bin ich auch gar nicht sicher, ob ich Ihren Namen wissen will.
»Ich sehe Ihre Schwierigkeiten. Ich wollte mir ein Bild von Ihnen machen. Sie sind ganz bestimmt ein ehrenhafter Mensch. Wenn Sie etwas versprechen, dann halten Sie es, so schwierig das auch sein mag. Ich habe eine angeheiratete Tante, die ist genauso. Ihre Katze hat Junge bekommen, und sie bestand darauf, das häßlichste zu behalten. Als man sie nach dem Grund fragte, sagte sie, als es geboren wurde, habe sie versprochen, es zu behalten. Das ist genau Ihre Art, das sehe ich auf den ersten Blick.«
Kate ertappte sich dabei, wie sie an ihre früheren Ansichten über das akademische Leben dachte, an die Gründe, für ihren so leiden-schaftlichen Wunsch dazuzugehören. Weil alle Männer (all ihre Lehrer waren damals Männer) so ehrenhaft schienen, so vertraut mit all den netten kleinen Höflichkeiten. Und nichts scheint sich an diesen Erwartungen geändert zu haben, dachte sie. Ich bin wie eine Frau, die weiterhin an die romantische Liebe glaubt, auch nachdem sie im Laufe der Zeit von fünfzehn Männern verlassen worden ist.
»Ich könnte noch einen vertragen«, sagte der Mann. »Soll ich Ihnen auch einen machen?«
»Danke, ich trinke nicht«, sagte Kate und fügte im Stillen hinzu:
»Nicht mit Leuten wie Ihnen.«
»Also, hier sind meine Informationen; Sie wissen, was ich als Gegenleistung erwarte. Sie könnten nach einer Dame namens Mary Louise Heffenreffer schauen – ihre Freunde, von denen sie allerdings verdammt wenige hat, nennen sie Biddy. Sie ist etwa fünfundvierzig und eine großartige Frau, obwohl ich das äußerst ungern sage. Ein Körper!« Er warf Kate einen Blick zu. »So ähnlich wie Ihrer, muß ich zugeben, wenn auch an manchen Stellen etwas voller. Und sie kann sich anziehen. Kennen Sie diese Charivari-Läden hier? Zu jeder Tageszeit sieht sie aus, als käme sie direkt aus einem von deren Schaufenstern. Und die Kleider sind nicht billig da, das kann ich Ihnen sagen. Kurz gesagt, sie hat Klasse. Und Sex.« Und von Ihnen, dachte Kate, hat sie nicht das geringste wissen wollen, was ebenfalls für ihren guten Geschmack spricht.
»Ja, ich weiß genau, was Sie denken«, sagte er. »Vielleicht sind betrogene Frauen gefährlich, aber das kommt daher, daß Shakespeare keine Männer beschrieben hat, die…« Er wollte die Phrase, die einem leicht in den Sinn kommt, nicht gebrauchen, obwohl Kate sie hätte nennen können. Verabscheuungswürdige Männer waren oft Leisetreter, wenn sie nicht unter Gleichgesinnten waren. »Sie hätte an jedem Finger zehn haben können, das garantiere ich Ihnen. Aber sie konnte ihren Mann nicht bei der Stange halten. Sie sind beide Professoren, nebenbei gesagt, in irgendeinem College hier in der Nähe. Und wissen Sie, an wen sie ihren Mann verloren hat – nicht de jure, natürlich, aber körperlich und seelisch, und das ist es ja schließ-
lich, was zählt? An Ihre Alberta Ashby, oder wessen Alberta sie sonst sein mag. Na, ist das eine unerwartete Antwort auf eine Anzeige im ›MLA Newsletter‹? Übrigens, mein Name ist Stan Wyman, für den Fall, daß Sie nachprüfen wollen, ob ich nicht nur so ein verrückter Spinner bin.« Als er hinausging und die Tür hinter sich ins Schloß fallen ließ, mußte Kate zugeben, daß er seinen Abgang gut inszeniert hatte.
Sie saß
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