Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
Vom Netzwerk:
angekündigt hatte. Sie fand eine aufmunternde Nachricht von Reed vor, in der er ihr Glück wünschte und mitteilte, Lillian und er seien zu dem Schluß gekommen, sie sollte den Rest des Kongresses einfach sausen lassen; beide seien der Meinung, daß weder für Kates Verfassung noch für ihre Nachforschungen etwas Gutes dabei he-rauskommen würde. Reed rechne mit einer zustimmenden Nachricht und freue sich auf einen gemeinsamen Abend.
    Trotz dieses hervorragenden Rates ging Kate zum Kongreß, wenn auch nicht, um sich dort eine Vorlesung über Semiotik oder ein anderes Thema ihrer Wahl anzuhören; sie hatte beschlossen, sich auf die Suche nach Mary Louise Heffenreffer zu machen, von ihren Freunden Biddy genannt. Als Kate die Liste der vortragenden Teilnehmer durchging, entdeckte sie, daß Heffenreffer, Mary L. ein Referat über Pulci hielt, und zwar im Rahmen eines Seminars über die historischen Aspekte der Epik in der italienischen Renaissance.
    Kate wurde von dem Gefühl beschlichen, daß die wichtigste Erkenntnis dieses Kongresses die ihrer Unwissenheit auf allen Gebieten sei; sie erfuhr nur, daß von Pulci ein Epos namens ›I1 Morgante‹
    stammte, dessen ersten Gesang Byron übersetzt habe. Sie sah sich gezwungen, einen Kollegen anzurufen, der ihr etwas mehr über Pulci erzählte; zum Glück hatte er Humor und war großzügig. Er meinte, niemand außer Kollegen vom italienischen Institut wisse überhaupt etwas über Pulci, und das Heffenreffer-Referat sei überaus interessant, weil es auf die historischen Aspekte in Pulcis Werk einginge und auf seinen Einfluß auf Ariost und das komische Epos des sech-zehnten Jahrhunderts. So gerüstet ging Kate zu dem Seminar, und sie hatte sich darauf eingestellt, daß die ganze Angelegenheit in italienisch stattfinden würde. Mrs. Heffenreffer sprach aber nicht nur ein elegantes Englisch, sondern drückte sich auch gut verständlich aus, wenn auch zum Widerspruch herausfordernd, wie es Kate im Verlauf der Diskussion schien. Wie so viele andere Literaturwissenschaftler der Moderne fand Kate schwer verständlich, was in der Motivation eines Schriftstellers interessant sein sollte, der bereits seit fünfhun-dert Jahren tot war, und wie jemand über völlig unbekannte gesellschaftliche Strukturen schreiben konnte; ihre Gedanken beschäftig-ten sich mehr mit Mary Louise Heffenreffer als mit Pulci. Kates Besucher vom Vorabend hatte recht: Sie war aufregend, obwohl Kate sich längst an die Tatsache gewöhnt hatte, daß Professorinnen nicht mehr unbedingt nachlässig gekleidet oder per se unsexy waren.
    Dennoch gingen die meisten Dozenten beiderlei Geschlechts – ebenso wie die Vertreter anderer Berufssparten – so um die fünfundvierzig in der Mitte etwas auseinander und mußten den Gürtel weiter schnallen; aber für Mary Louise Heffenreffer traf es nicht zu.
    Kate hatte nie die Absicht gehabt, mit Mary Louise Heffenreffer zu sprechen oder sie von ihrer Anwesenheit wissen zu lassen. Sie verließ das Seminar, während noch alle damit beschäftigt waren, Pulci eher als Komödienschreiber darzustellen, denn als historisch wirksamen Schriftsteller. Sie ging in ihr Zimmer zurück, wo die Tagesdecke auf ihrem Bett wieder an Ort und Stelle lag. Sie streckte sich auf dem Bett aus, stopfte sich mehrere Kissen unter den Kopf und dachte nach. Wenn man sich nicht leidenschaftlich zu früheren Epochen hingezogen fühlte, fand man das Ganze eher einschläfernd.
    Kate döste vor sich hin.
    Am späten Nachmittag wurde sie durch das Läuten des Telefons geweckt. Es war Lillian. »Ich habe Neuigkeiten für dich!« verkündete sie.
    Kate, die so gut wie nie einen Mittagsschlaf hielt und deshalb jetzt völlig desorientiert aufwachte, blickte entgeistert um sich. »Wo bist du?« fragte sie, um die Frage »Wo bin ich?« zu umgehen.
    »In dieser verdammten Hotelhalle. Die wollten mir deine Zimmernummer nicht geben, versprachen nur, dich anzurufen. Ich vermute, man will dich vor kriminellen Elementen schützen, vor denen, die dich per Brief nicht erreichen. Kann ich hinaufkommen?« Kate nannte ihr die Zimmernummer und ging ins Bad, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen.
    Lillian machte einen triumphierenden Eindruck, der Kate nichts Gutes ahnen ließ. Sie ließ sich in einen Sessel fallen. »Wie wär’s, wenn du mir was zu saufen anbietest«, sagte sie. »Ich hab’s verdient.« Kate starrte sie an. Das war nicht Lillians normale Art zu reden.
    »Was hättest du gern?« fragte Kate

Weitere Kostenlose Bücher