Albertas Schatten
meine ich ernst, Lillian: Du darfst auf gar keinen Fall ihm gegenüber Alberta Ashby erwähnen. Ich will nicht, daß er weiß, daß irgend jemand überhaupt von ihrer Existenz weiß. Kann ich mich auf dich verlassen?« Und Lillian versprach es.
Kate hatte sich mit ein paar Freunden aus dem Westen zum Abendessen verabredet. Sie genoß den Abend und kam ziemlich spät nach Hause; Reed arbeitete noch in seinem Büro. Bevor sie auf einen Schlummertrunk zu ihm ging, suchte sie in ihrem eigenen Arbeitszimmer die Fotokopien heraus, die sie seinerzeit mit Elmira im MLA-Büro gemacht hatte. Tatsächlich waren für das Seminar von 1980 mit dem Titel ›Romanciers aus Oxford‹ vier Namen genannt; der des Seminarleiters und die der drei Referenten: Alina Rosenberg, einer, von dem Kate noch nie etwas gehört hatte, und Martin Heffenreffer, dessen Referat Robert Graves zum Gegenstand hatte. Alina hatte ihn nicht ausdrücklich erwähnt, nur daß er zu den Männern im Seminar gehört habe, die kein besonders großes Interesse an Charlotte Stanton gezeigt hätten. War dieses »kein besonders großes« echt?
Reed hatte ihnen beiden einen Drink gemixt und saß nun auf der Armlehne ihres Sessels, die Hand auf ihrem Kopf. Das war eine vertraute Geste, und Kate hatte immer das Gefühl, als gingen Kraft und Ruhe von ihm auf sie über – vom Gehirn ausgehend hinunter in ihren ganzen Körper. Nach einer kleinen Weile lehnte sie den Kopf zurück und murmelte etwas an seiner Brust.
»Ich kann dich nicht verstehen«, lachte er, »aber ich weiß, was du fragen willst: ›Das Leben ist so schön, warum muß man es sich dann mit diesen Detektivspielen so komplizieren?‹ Und ich weiß auch die Antwort. Wenn man in seinem Leben nicht bereit ist, dann neue Erfahrungen zu machen, wenn sie sich bieten, wird alles bald langweilige Routine. Menschen, die ihr Leben wirklich leben und es nicht nur als Schutz gegen Unbill jeder Art betrachten, neigen immer dazu, sich mehr abzufordern, als sie ohne weiteres bewältigen können. Aber ob du dich nun beschwerst oder nicht, du weißt, daß dies das Leben ist; es besteht eben nicht darin, daß man die Luft anhält und einfach abwartet, bis sich die Dinge beruhigt haben. Sie hörten Reed Amhearsts Credo zum Tage.«
»Was machen bloß die Menschen, die Risiken auf sich nehmen, stets auf einem schmalen Grat wandern und niemanden wie dich haben, zu dem sie heimkommen können?«
»Das ist eine nette Frage, Kate; sie gefällt mir. Aber du weißt, sie ist kompletter Unsinn. Wenn wir Glück haben, haben wir Freunde oder Ehepartner, die zuhören und uns unterstützen können; wenn nicht, sind wir einsam und kämpfen allein. Aber ich bezweifle, daß es am Ende wirklich jemals einen Menschen gibt, zu dem wir heimkommen können. Heim, das ist der Platz, an dem wir die Füße hoch-legen.«
»Und was ist dann die Ehe, großer Meister?«
»Die Ehe ist wie der stumme Partner in jenem Dickens-Roman, nur mit dem Unterschied, daß der Partner in der Ehe dir zu einem bestimmten Status verhilft, anstatt, wie bei Dickens, die Schande auf sich zu nehmen. Ich bin verheiratet und somit ein guter und verant-wortungsbewußter Bürger.«
»Eine bemerkenswert zynische Definition der Ehe.«
»Sie ist nicht sehr weit entfernt von der Jane Austens; abgesehen von den Kindern, die für uns ja nicht in Frage kommen.«
»In diesem Fall kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, warum du heiraten wolltest. Irgendwie hatte ich früher den Eindruck, du hättest andere Gründe.«
»Natürlich hatte ich die. Ich konnte mir mein Leben ohne dich nicht vorstellen. Die Ehe schien mir die beste Art von Partnerschaft zu bieten, und das hat sich bis heute nicht geändert. Ich weiß jetzt nur, daß ich meine Füße gern in guter Gesellschaft hochlege, und deine ist die beste, die ich kenne. Wolltest du eigentlich mit mir über die Ehe sprechen oder über Alberta Ashby?«
»Eigentlich ist es nicht Alberta, sondern diese Stanton. Sie ist wie Rebecca und spukt in jedermanns Leben herum; und ich weiß nicht einmal, ob sich am Ende herausstellt, daß sie geliebt wurde oder gehaßt, ob sie gut war oder böse. Glaubst du, Alberta ist vielleicht, so wie die zweite Ehefrau, dazu verdammt, in ihrem Schatten zu leben?«
»Die zweite Frau lebte mit ihrem seelisch entkräfteten Ehemann weiter. Glaubst du, Alberta ist noch am Leben?«
»Reed, Liebster, was soll ich davon halten? Ist es wirklich möglich, daß eine erwachsene Frau spurlos von der
Weitere Kostenlose Bücher