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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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sie jemals mit Ihnen über England gesprochen? Über Oxford?«
    »Ja, das hatte ich vergessen. Sie hat immer den Sommer dort verbracht. Sie hatte einen Freund in England, einen Jungen, auf den ich eifersüchtig war, wie ich mich erinnere. Mein Eindruck war, daß sie dorthin gehörte; nicht nach Ohio. In dieser Hinsicht war sie so ähnlich wie Julien Sorel in ›Rot und Schwarz‹: Ihre Eltern waren nicht ihre richtigen Eltern. Das ist eine recht häufige Phantasievorstellung, ich weiß; nur in ihrem Fall war es wirklich so.«
    »Hielt sie ihren Vater nicht für ihren richtigen Vater?«
    »Vielleicht. Es waren eher ihre Stiefmutter und Ohio, die sie ablehnte. Sie war außergewöhnlich freundlich und ganz offensichtlich einsam, viel einsamer als ich, denn ich hatte ein besseres Zuhause, oder zumindest eines, in dem ich mich wohler fühlte. Mir fällt auf, was für eine Außenseiterin Alberta damals als Mädchen war und wie gut sie als Kind in die heutige Zeit passen würde. In der Schule meiner Kinder ist das Fußballteam der Mädchen genauso gut wie das der Jungen und genauso wichtig. Solche Dinge meine ich.«
    »Hat sie jemals über ihre Tante gesprochen, ihre sogenannte Tante, Charlotte Stanton?«
    »Nein. Ich fragte mich, wo die Verbindung wäre, als ich Ihre Anzeige las. Sie erzählte über Oxford und die Colleges, aber meistens hatte ich den Eindruck, als gehörte England zu einem Leben von ihr, das mir verborgen war und zu dem ich keinen Zugang hatte. Wir lebten unser Leben in Ohio. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, fügte er hinzu und stand auf. Es hatte an der Tür geklopft. Da er ihr den Rücken zugewandt hatte, beobachtete Kate sein Hinken genauer. Während ihres kurzen Gesprächs hatte sie es vergessen, und sie nahm an, daß es jedem anderen genauso ging. James Fenton war eindeutig ein erfolgreicher Mann, was immer das bedeuten mochte.
    Nun ja, es bedeutet, daß er selbstsicher war und liebenswürdig und zweifellos anerkannt auf seinem Gebiet, auch wenn Kate nicht wuß-
    te, welches das war. Er war mit der Neugliederung und Neubeset-zung seines Fachbereichs beauftragt worden und nicht deshalb, weil er der entsprechenden Generation angehörte, sondern, wie Kate sicher spürte, weil er die erforderlichen persönlichen Qualitäten besaß.
    Er begrüßte seine Kollegen und stellte sie Kate vor, als sie aufstand, um zu gehen.
    »Ich fürchte, ich war Ihnen keine so große Hilfe, wie ich gerne gewesen wäre«, sagte er an der Tür; die anderen waren ins Zimmer gegangen. »Bitte melden Sie sich, wenn Ihnen noch weitere Fragen einfallen. Ich gebe Ihnen meine Privatnummer und meine Büro-nummer; bitte, zögern Sie nicht, mich anzurufen. Ich möchte Ihnen noch etwas Merkwürdiges sagen: Meine Frau ist ganz und gar nicht wie Alberta, dennoch fiel mir heute, als ich von ihr sprach, plötzlich eine Ähnlichkeit auf. Sie gehören beide zu keinem bestimmten Typus; beide scheinen sich selbst geschaffen zu haben. Merkwürdig, so etwas zu sagen.« Kate sagte, sie fände das überhaupt nicht merkwürdig. Als Kate schon den Flur entlangging, öffnete er die Tür noch einmal, und rief: »Hat Alberta jemals geheiratet?«
    »Soviel ich weiß, nein«, sagte Kate. »Aber ich weiß nicht viel.
    Hätte sie Ihrer Meinung nach heiraten sollen?«
    Jim Fenton zuckte mit den Schultern. »Es hätte schon ein sehr ungewöhnlicher Mann sein müssen«, sagte er.
    Ja, dachte Kate, als sie wieder einmal auf einen Aufzug wartete; und die Welt ist nicht gerade voll von ungewöhnlichen Männern.
    Aber Alberta hatte zwei gute Freunde in ihrer Kindheit, dachte Kate, und einen weiteren hatte sie in dem Farmer Ted gefunden; das waren drei, mehr als die meisten in ihrem ganzen Leben haben.

    12

    N eujahr kam und ging. Kate wartete zehn Tage, damit sich das neue Jahr einrichten konnte, und rief dann Mary Louise Heffenreffers College an, um festzustellen, ob sich ein Treffen vereinbaren ließe. Mit Hilfe des unglaublich dichten gesellschaftlichen Netz-werks der privilegierten Jugend – bestimmte Schulen, bestimmte Colleges, bestimmte Fachschulen – war es Lillian gelungen, Martin Heffenreffer bei einem gesellschaftlichen Anlaß kennenzulernen.
    Irgend jemand kannte irgend jemanden, dessen Frau an derselben Schule lehrte. Lillian hatte Kate erklärt, eine Party wäre das beste, da eine junge Frau mehr dort nicht auffallen würde, sogar noch weniger, als wenn sie mit einer ernsthaften wissenschaftlichen Frage in sein Büro käme.
    Ganz anders

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