Albertas Schatten
ist alles, was ich weiß, alles, was ich Ihnen erzählen kann, außer daß ich von Alberta fasziniert bin, nachdem ich ihr Tagebuch gelesen habe und auch Charlie mir von ihr berichtet hat. Ich möchte sie finden; zumindest aber wissen, was aus ihr geworden ist.«
Biddy hatte inzwischen ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden.
»Mir ist noch immer nicht klar, warum Sie zu mir gekommen sind«, sagte sie.
Natürlich, das war die Frage. Es war Martin Heffenreffer, der 1980 beim MLA-Kongreß ein Referat gehalten hatte, Martin Heffenreffer, dessen Name im Zusammenhang mit Alberta genannt worden war. Nein, nicht ganz, Biddys Name hatte Stan Wyman besonders betont. Hatte allein das Kate nach Santa Cruz geführt? Sie mußte ehrlich zu Biddy sein, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, wie sie sich jetzt vornahm. Nun war Biddy an der Reihe.
»Haben Sie sie gekannt?« fragte Kate. »Sagen wir es so: Ich glaube, daß Sie sie gekannt haben.«
Biddy stand auf und ging im Zimmer umher. »Warum sollte ich Ihnen überhaupt irgend etwas erzählen?« fragte sie. »Gut, Sie sind diejenige, als die Sie sich ausgegeben haben, na und? Sie sagen, Sie wollen Alberta finden. Nur von Ihnen weiß ich, daß sie verschwunden ist. Angenommen, ich weigere mich, mit Ihnen zu sprechen, was dann?« Sie drehte sich zu Kate um.
»Ich habe keinerlei Druckmittel in der Hand, und wenn ich welche hätte, würde ich sie nicht anwenden. Was hätte das für einen Nutzen? Entweder wollen auch Sie herausfinden, was mit Alberta geschah, oder Sie wollen es nicht. Bei der Polizei ist sie als vermißt gemeldet; ein Privatdetektiv namens Richard Fothingale hat Monate mit der Suche nach ihr zugebracht. Meine Freunde Charlie und Toby haben ihm dafür ein hübsches Sümmchen bezahlt; zweifellos wird er auch mit Ihnen sprechen, wenn Sie ihm seine Zeit honorieren, Sinjin hat Alberta die Hälfte ihres Geldes vermacht, das auch das der Stanton war; die Anwälte hier und in England wissen, daß Alberta nicht zu finden ist. Wenn Sie all dies nicht überzeugend finden, warum verfolgen Sie dann nicht dieselbe Spur, wie wir alle? Andererseits habe ich den Eindruck, daß Sie sich vorgenommen haben, mir zu mißtrauen und mir nicht einmal die Uhrzeit verraten, wenn ich Sie danach fragen würde. Das Leben spielt manchmal so. Ich muß sagen, daß ich Sie vom ersten Eindruck her mochte, aber ich habe kürzlich schon einmal erfahren müssen, wie wenig man dem ersten Eindruck trauen darf.« Kate sprach, und sie meinte auch, was sie sagte, aber sie hatte ihre Rede in die Länge gezogen, um Biddy Zeit zu geben, zu sich zu kommen. Ich habe ihr das Gefühl gegeben, in eine Falle gegangen zu sein, dachte Kate; ich habe sie mit der Sache überfallen, und sie fühlt sich, als habe sie eine Schlinge um den Hals.
Biddy schien gerade etwas antworten zu wollen, da flog die Tür auf, eine Horde Kinder stürmte herein. Sie schrien »Hallo« und liefen hintereinander die Treppe hinauf. Biddy rief zwei von ihnen.
»Kommt her und begrüßt unseren Gast«, sagte sie. »Das ist Professor Fansler; Teddy und Fanny Heffenreffer.« Die Kinder kamen heran und gaben Kate die Hand. »Wie geht es euch?« sagte Kate.
»In Ordnung, ihr könnt jetzt gehen«, sagte Biddy, »aber haltet den Lärm in Grenzen; wir unterhalten uns.« Dann wandte sie sich Kate zu. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« fragte sie.
»Noch einen Eistee?« Kate nahm das Angebot an. Sie waren wieder auf dem sicheren Boden gesellschaftlicher Umgangsformen.
Kate nippte an ihrem Eistee, was ihr ermöglichte, wenigstens ein paar Minuten lang darüber nachzudenken, wie sie die Situation retten könnte. Sie konnte unmöglich Biddy bitten über Alberta zu sprechen, selbst wenn sie das gewollt hätte – mitten zwischen den Kindern, die herunterkamen und an den Frauen vorbei in die Küche rannten. Nach einer gewissen Zeit, vielleicht in ein oder zwei Tagen, würde sich Biddy eventuell dazu entschließen, mit Kate zu sprechen. Inzwischen könnte Kate sich San Francisco ansehen oder an der Küste entlang-fahren; aber irgendwie gefiel ihr weder die eine noch die andere Möglichkeit. Was immer sie sich auch vorgestellt haben mochte, Sightseeing war nicht der Zweck ihrer Reise.
»Darf ich Sie zum Dinner einladen?« fragte Kate schließlich.
»Heute abend oder morgen? Oder vielleicht zum Lunch?«
»Ich werde Sie im Motel anrufen«, sagte Biddy. »Ich werde es mir überlegen und Sie anrufen. Bis morgen früh, das verspreche ich.
Geben
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