Albertas Schatten
Dingen interessiert oder an Kindern, am Kochen und Nähen, am Gestalten einer Wohnung – ja nicht einmal am Garten. Sie liebte es, mit einem Mann zu schlafen und mit ihm neue Erfahrungen zu machen und dann zu erwachen und allein zu sein; zu wissen, daß der ganze Tag ihr allein gehört. Die meisten Leute betrachteten das als beinah normal. Was es exzentrisch, ja sogar krankhaft erscheinen ließ, war die Tatsache, daß Alberta und ich Freundinnen wurden.«
»Haben Sie über Martin gesprochen?« fragte Kate.
»Von Zeit zu Zeit; wenn er sich nicht wohlzufühlen schien oder beunruhigt oder, was auch vorgekommen ist, wenn Alberta von Sorgen mit den Kindern gehört hatte, dann kam das schon mal vor.
Oft denke ich, wie wenige Schriftsteller Freundschaft gut beschrieben haben, von Freundschaft zwischen Frauen ganz zu schweigen.
Eines ist daran merkwürdig. Die meisten Menschen, die man mag, sieht man in unregelmäßigen Zeitabständen; man berichtet einander, was in der Zwischenzeit geschehen ist, man redet über die wesentli-chen Veränderungen. Weil aber Alberta und ich einander regelmäßig trafen – jeden zweiten Donnerstagabend, das hatte sich so ergeben, da ich regelmäßig einen Babysitter hatte und Martin ein Seminar über Modernismus –, habe ich festgestellt, daß ich mein Leben in der Erwartung dieser Begegnungen lebte, beinahe so, als ob ich Tagebuch führte. Ich lebte das Leben nicht nur, ich zeichnete es auf, ließ es Gestalt annehmen für Alberta. Die Gewißheit, daß wir uns sehen würden und die Dinge durchsprechen könnten, machte es erträglicher; man konnte Kraft schöpfen.«
»Eines der seltsamen Dinge, die ich festgestellt habe, war, daß wir uns gegenseitig nicht gleich unsere Lebensgeschichte erzählt haben«, fügte Biddy nach einer Pause hinzu. »Wir hielten uns nicht mit Anekdoten aus der Vergangenheit auf, wie es Leute tun, die in erster Linie froh darüber sind, neue Zuhörer für bereits gemachte Erfahrungen gefunden zu haben. Unsere jeweilige Vergangenheit kam nach und nach hervor, aber nur, weil wir sie neu durchdachten.
Ich erinnere mich daran, wie Alberta das erste Mal England erwähn-te. ›Ich habe gar nicht gewußt, daß du lange Zeit in England verbracht hast‹, sagte ich. ›Oh, ich nehme an, das kam einfach noch nicht zur Sprache‹, sagte sie.« Biddy setzte sich auf und lachte Kate an. »Worüber schwatze ich denn hier?« sagte sie.
»Über Freundschaft«, sagte Kate zu ihr. »Wir – wir Frauen, meine ich – fangen an, miteinander über diese Dinge zu reden, und wir müssen die Sprache dafür finden; das ist nicht immer einfach, die Worte sind für andere Zwecke abgenutzt worden.«
»Wollen wir gehen?« fragte Biddy, hielt die Flasche mit dem Hals nach unten, schüttelte sie und zeigte so das Ende des Picknicks an. Beide sammelten die Reste zusammen und stopften sie in den Korb; Kate steckte die leere Flasche, die Becher und den Korkenzieher in die Tüte. »Hier entlang gibt es einen hübschen Weg«, sagte Biddy. »Am Ende hat man eine Aussicht auf die Bucht. Einverstanden?« Sie gingen los.
Sie mußten hintereinander gehen, daher war ein zusammenhängendes Gespräch nicht möglich. Beide dachten über das nach, was gesagt worden war und was sie gehört hatten. Kate dachte: Sie ent-deckten eine Freundschaft und haben sie verloren. Weshalb? Wenn sie den Platz mit der Aussicht auf die Bucht erreicht haben, würde Kate vielleicht das Ende der Geschichte hören. Falls es das Ende war. Biddy blieb bei einer Abfalltonne stehen, und Kate ließ ihre Tüte hineinfallen. »Die Aussicht ist dort vorn«, rief Biddy aufmunternd.
Sie kamen an, der Blick war schön, aber die Bucht lag in weiter Ferne. Das Meer war nicht ganz so nah, wie Kate irgendwie erwartet hatte, sondern weit weg, hinter einem Landstreifen. »Wenn Sie ans Meer wollen, müssen Sie an der Küste entlanggehen«, sagte Biddy.
»Unten in Santa Cruz, auf der anderen Seite der Stadt, kann man manchmal Seehunde auf den Felsen sehen, und das Wasser ist voll von Tauchern in Tauchanzügen, die auf den ersten Blick wie Seehunde aussehen, zumindest für jemanden aus dem Osten.« Sie saßen mit angezogenen Knien nebeneinander und blickten in die Ferne.
»Martin hat es herausgefunden?« fragte Kate.
Biddy seufzte. »Ich glaube, es war unvermeidlich. Nach einer gewissen Zeit hat Alberta versucht, mit ihm zu brechen. Sie mochte ihn so sehr wie eh und je, aber ich denke, sie fühlte sich doppelzüngig und unaufrichtig. Und sie
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