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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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überwuchert, überall Brennnesseln. Auch anderer frischer Müll fand sich, Scherben, verkommener Hausrat. Überall Löcher im Boden. Aus manchen waren offenbar vor nicht allzu langer Zeit Steine gebrochen worden. Ein riesiger Aschenhaufen neben dem Gestrüpp bezeichnete die Stelle, an der jedes Jahr am ersten Fastensonntag der Funken, ein kolossaler Holzstoß mit einer Puppe darauf, angezündet wurde – der Stolz des Dorfes.
    Wir stolperten immer und immer wieder durch das unwegsame Gelände, als ich die Scherben sah: Glasscherben von einer Flasche, die deutlich als Schnapsflasche zu erkennen war. Einzelne Scherben, weitere Flaschen, halb und fast ganz, entdeckten wir, manche noch mit Etikett versehen, Schnaps, Kognak, Wodka, vor allem Wodka.
    Es fanden sich aufgeweichte Reste von Zigarettenschachteln, ein morscher Wollschal; schließlich hob Dr. Hagenbach eine Injektionsspritze aus Plastik vom Boden.
    »Drogen«, stellte er mit dem gewissen Beben in der Stimme fest. »Sie treffen sich hier, saufen und nehmen Drogen«, sagte er richtig, »ein geheimer Treffpunkt von Junkies und Säufern«, fuhr er fort, »die Dorfjugend –«
    »Wer sagt Ihnen, dass es die Dorfjugend ist?«
    »Na, so nahe am Dorf –«
    »Herr Dr. Hagenbach, sagen wir doch, wenn dieser Ausdruck sinnvoll sein soll: Wir wissen es nicht. Die Dorfjugend gibt es nicht als solche, das wissen Sie so gut wie ich.« Ich hatte mich fast in Zorn geredet.
    Er setzte zum Sprechen an.
    »Wissen Sie«, redete ich weiter, »Verklärung steht oft in Zusammenhang mit Diskriminierung. Sie können nicht das Weltall preisen und gleichzeitig die hiesige Dorfjugend zu Säufern, Junkies und womöglich Dealern machen.«
    Ich kannte mich selbst nicht mehr.
    »Gut«, sagte er beschwichtigend, wie ich es an ihm schon kannte, »fassen wir einfach die Tatsachen zusammen, wir finden Spuren von Alkohol und Drogen, also Spuren von nächtlichen Exzessen.«
    »Wer sagt Ihnen, dass die Exzesse nächtlich sind?«
    »Exzesse sind fast immer nächtlich.«
    Ich hielt das für Unsinn.
    »Wir sollten erst einmal weitersuchen«, sagte ich, »bevor wir kluge Sprüche machen.«
    Wir kämmten das Gelände noch einmal gründlich durch, Schritt für Schritt im Schema des Bustrophedon, wie wir Gelehrten sagen: Erste Zeile nach links, Kehre, zweite Zeile nach rechts und so weiter, wie der Ochse pflügt.
    Die nächtlichen Exzesse, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, hatten nur an zwei Stellen stattgefunden: nicht weit voneinander entfernt in breiteren Kuhlen – Scherben, Flaschen, viele Scherben, viele Flaschen, auch Reste von Verpackungen, wie sie für gegrillte Hähnchen oder Mitnahme-Pizza verwendet werden, einige gebrauchte Spritzen.
    »Nun kennen wir das Ausmaß«, dozierte ich in ekelhafter Weise, manchmal eine Eigenart von mir, »aber wir können noch keine Schlüsse ziehen oder gar Thesen aufstellen. Zuerst müssen wir einen Fragenkatalog erstellen.«
    Dr. Hagenbach ging darauf ein. »Die erste Frage: Wie viele Personen sind beteiligt?«
    »Wie alt sind die Personen?«, widersprach ich, »diese Frage muss Vorrang haben.«
    Von irgendwoher nahm er die Ruhe, es einzusehen. »Aber wie wollen wir das feststellen?«
    »Suchen«, sagte ich hartnäckig und fühlte plötzlich, dass ich trotz aller Ekelhaftigkeit auf dem richtigen Weg war.
    Er starrte mich an. »Sie haben recht.«
    Seine Stimme war ruhig geblieben. Er hatte die Gabe, eine Sache wichtiger zu nehmen als seine Person, ein echter Wissenschaftler, wenn auch manchmal zu emphatisch. Mir gelang das keineswegs immer, wenn sie mich auch im Institut trocken nennen.
    Ich suchte in meiner Kuhle. Alles triefte vor Nässe.
    Gründlich. Ich drehte Steine um, kratzte in Gräsern und Schutt, durchstöberte eine große, schon schwarz verdorrte Brennnesselwildnis, die sich seitlich an meiner Mulde zu hohen Holunderbüschen hinzog, räumte dürre Äste und Zweige auf die Seite, scharrte in faulem Laub, alles zuerst sehr oberflächlich, verdreckte mich völlig und war durchnässt und fand nichts als einige weitere Scherben und einen Flaschenhals.
    An welcher Stelle hatte man wohl Amelies Schuhe gefunden?
    Ich dachte an die Spurensicherung, wie sie im Fernsehen gezeigt wurde, durchsuchte alles noch einmal ganz systematisch und fand zwei weitere Spritzen, einige Konservendosen und unter Laub versteckt die vermatschte Kohlenasche einer Feuerstelle, die Überreste einer Verpackung für Kaugummi und die Trümmer eines Handys. Alles wurde sorgsam geordnet

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