Albtraum
mit den Fingerspitzen. „Ich war hübsch.“
„Sie waren wunderschön.“ Kate presste beklommen eine Hand auf den Magen. Sie fürchtete, was sie jetzt zu hören bekam, offenbarte den wahren Charakter von Juliannas Beziehung zu John Powers. „Das sind Sie immer noch.“
„Nein“, widersprach Julianna in einem eigenartigen Singsang-Tonfall. „Mama ist wunderschön, Julianna ist hübsch. Sei ein liebes kleines Mädchen, vergiss das nicht. Sei Johns liebes kleines Mädchen.“ Ihre Stimme schwankte.
„Luke!“ rief Kate etwas lauter, ohne Julianna aus den Augen zu lassen. „Du kommst besser her!“
„Bin schon da.“ Er kam zu ihnen geeilt, legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte nah an ihrem Ohr: „Bring Emma ins Schlafzimmer.“
Kate sah ihn über die Schulter verunsichert an. „Warum? Was glaubst du …“
„Ich weiß nicht. Tu es nur für alle Fälle.“
Sie nickte, nahm die Trage und machte mit Emma einen weiten Bogen um Julianna. Das war überflüssig, denn Julianna bemerkte sie nicht einmal.
Kate stellte die Trage ins Schlafzimmer und zog die Tür zu. Zwar wusste sie nicht, was Luke befürchtete, jedoch wollte sie jedes Risiko für Emma ausschließen.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, drückte Julianna das Foto an die Brust. Ihre blutigen Hände waren mit Schnitten übersät. Blut besudelte auch ihr Gesicht und die Shorts. Sie summte leise vor sich hin und wiegte sich vor und zurück.
Kate sah Luke an. „Wir müssen etwas tun. Sie zerfetzt sich mit dem Glas die Hände.“
Er nickte und ging neben Julianna in die Hocke. „Kommen Sie, meine Liebe, Sie verletzen sich.“
„Das bin ich“, erwiderte sie und zeigte ihm das Bild. „Und das ist John.“
„Das sehe ich.“ Er nahm sie beim Ellbogen. „Sie können es mit ins Hotel nehmen, wenn Sie mögen.“
„Ich verstehe nicht.“ Sie sah ihn mit tränenfeuchten Augen an. „Wie konnte er mir das antun? Ich war noch … ein Kind. Ein kleines Mädchen.“
„Ich weiß, Kleines. Aber das ist lange her. Es spielt keine Rolle mehr.“
Er zog sie hoch, doch sie schüttelte seine Hand ab und widmete sich wieder schluchzend dem Foto. Sie atmete tief ein, und als sie ausatmete, begann sie zu wimmern.
Die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, begann sie schließlich zu weinen. Für eine Weile wurde ihr Körpervon heftigen Schluchzern geschüttelt. Als sie sich ein wenig beruhigte, hob Luke sie auf. „Kommen Sie, Kleines. Sie verletzen sich.“
Zuerst lag sie nur leise weinend, schlaff auf seinen Armen. Doch plötzlich begann sie sich mit einem lauten Schrei zu wehren, trat, kratzte und versuchte sich ihm zu entwinden. Er ließ sie los.
Mit lautem Wutgeheul schnappte sie sich die Lampe vom Tisch und warf sie gegen die Wand. Dort zerbrach sie. „Ich war noch ein Baby!“ schrie sie, nahm das Telefon und riss es von der Wand. „Wie konnte er mir das antun? Wie? Ich habe ihn geliebt!“
Ihr Blick fiel auf das Foto. Sie stürzte sich darauf und zerriss es, bis die Stücke zu klein waren, sie weiter zu teilen. „Ich habe ihm vertraut!“ Keuchend vor Anstrengung lief sie zum Bücherregal, riss sämtliche Bücher heraus und schleuderte sie so weit sie konnte.
So plötzlich der Wutanfall begonnen hatte, so plötzlich verebbte er. Julianna sackte auf den Boden und wimmerte wie ein verwundetes Tier.
Kate kniete sich neben sie, nahm sie in die Arme und wiegte sie tröstend, wie sie es mit Emma getan hätte.
Julianna klammerte sich an sie und presste das Gesicht an Kates Brust. „Ich war noch ein kleines Mädchen. Wie hat er mir das antun können? Wie?“
„Ich weiß es nicht, Kleines. Aber Sie sind jetzt in Sicherheit.“ Ihr brach schier das Herz vor Mitgefühl mit Julianna, und sie sah zu Luke auf. „Wir lassen nicht zu, dass er Ihnen noch einmal zu nahe kommt.“
71. KAPITEL
Luke beendete die Suche, während Kate Julianna tröstete. Danach versorgte sie ihre Wunden, entfernte Glassplitter und desinfizierte die Schnitte mit dem Alkohol, den sie im Badezimmerschrank fand.
Julianna saß reglos auf der Couch, während Kate den Alkohol mit einem Wattebausch auftupfte. Sie zuckte nicht mal zusammen, obwohl es höllisch brennen musste. Fast so, als hätte sie ihre emotionalen Energien ausgeschöpft und hier säße nur noch die leere Hülle.
Kate hatte großes Mitgefühl mit ihr. Sie wünschte, etwas tun oder sagen zu können, um den Schmerz zu lindern, den John Powers der vertrauensvollen Mädchenseele zugefügt hatte. Doch
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