Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Albtraum

Albtraum

Titel: Albtraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Spindler
Vom Netzwerk:
Vernunft. Julianna setzte ihren Plan klug und zurückhaltend in die Tat um und erwog genau, wann und wo sie sich zum ersten Mal begegnen sollten. Ein zufälliges Zusammentreffen in einer Bar, seinem Countryclub oder Sportstudio kam nicht in Frage. Dabei ergäbe sich kaum die Möglichkeit, sich in sein Leben zu drängen und seine Zuneigung zu gewinnen.
    Nein, sie und Richard mussten sich auf beruflicher Ebene kennen lernen, am besten in seiner Kanzlei. Somit brauchte sie eine Art Eintrittskarte in die Firma, eine vertrauenswürdige Person, die für sie bürgte und sie einander vorstellte.
    Und da kam dieses Mädchen ins Spiel.
    Julianna richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Nicholson, Bedico, Chaney & Ryan und deren Angestellte. Das hier waren die Leute, die immer um fünf gingen: Sekretärinnen, Assistenten und andere Mitarbeiter, die die Zeitkarte drücken mussten.
    Weder Richard noch einer seiner Partner verließen die Kanzlei um fünf. Entweder sie gingen sehr früh, oder aber sie blieben viel länger. Das war Zeichen ihres Status in der Firma, ihrer Wichtigkeit.
    Julianna hatte rasch die Hierarchie der Kanzlei durchschaut. Das war nicht schwierig gewesen. Die meisten Menschen merkten gar nicht, wie viel sie der Umwelt preisgaben, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Zum Beispiel über ihre Lebenseinstellung, wie sie sich fühl ten, ob sie gemocht oder abgelehnt wurden, geduckt oder aggressiv waren.
    Die Chefs hatten einen forschen Schritt und eine aufrechte Haltung, die ihren Platz in der Welt verriet. Sie trugen teure, makellose Anzüge, und an ihren Handgelenken glitzerten goldene Uhren. Die Chefs verließen die Kanzlei entweder zu zweit oderin Begleitung eines überarbeiteten Assistenten, der eifrig Notizen kritzelte, während er sich bemühte, mit den langen energischen Schritten seines Vorgesetzten mitzuhalten.
    Julianna nippte an ihrer Limonade und hielt Ausschau nach der bewussten jungen Frau. Endlich entdeckte sie sie. Sie kam aus dem Gebäude und eilte hinter ihren Kollegen her, als fürchte sie, eine Einladung zu versäumen, wenn sie nicht aufschloss.
    Sie erreichte die Gruppe, doch niemand von ihnen nahm Notiz von ihr.
    Die junge Frau tat Julianna beinah Leid. Es war kaum mit anzusehen, wie sie nach Aufmerksamkeit lechzte.
    Julianna nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas und beobachtete weiter, was geschah. Die junge Frau schien nicht viel älter zu sein als sie selbst. Sie hatte glattes, mittellanges dunkles Haar und trug eine Brille mit Metallrahmen. Die Aktentasche in ihrer Hand sollte vermutlich den Anschein erwecken, sie wäre eine leitende Angestellte und keine Subalterne. Sie hatte meist schlecht sitzende Kostüme an, die sie offenbar professioneller, klüger und älter wirken lassen sollten. Der Effekt war jedoch genau gegenteilig. Sie wirkte Mitleid erregend wie ein verlorenes kleines Mädchen in der Kleidung seiner Mutter.
    Bedauernswert, dachte Julianna. Ein typischer Möchtegern, der mehr sein wollte als Sekretärin und nach Liebe und Akzeptanz in der Gruppe gierte.
    Kein Zweifel, das ist die Richtige.
    Julianna beobachtete sie schon seit Tagen. Immer kam sie allein aus dem Gebäude. Während die anderen miteinander schwatzten und Pläne schmiedeten, hielt sie schweigend den Kopf gesenkt und warf ihnen nur sehnsüchtige Blicke zu, was die jedoch nicht bemerkten oder schlicht ignorierten.
    Julianna legte zwei Dollarscheine auf den Tisch, erhob sichund verließ das Lokal. Sie folgte der jungen Frau in angemessener Entfernung und ohne Hast. Sie wusste, dass sie ihren Wagen auf einem Parkplatz um die Ecke abgestellt hatte, dass sie in einem Apartment in Covington lebte und ihre Abende meistens in einem Café namens „Bottom of the Cup“ verbrachte.
    Dort werden wir uns anfreunden, hatte Julianna beschlossen. Sie würden beste Freundinnen werden. Und diese Freundschaft begann heute Nacht.

23. KAPITEL
    Das „Bottom of the Cup“ war ein Single-Treff, die Neunziger-Version einer Abschleppbar. Die Spezialität des Hauses war Koffein anstatt Alkohol, die Musik war eher Folk als Rock, und Rauchen war absolut tabu.
    Es war vor allem ein Ort, an dem die endgültig Unbeliebten allein, aber hoffnungsvoll sitzen konnten, ohne sich zu sehr fehl am Platze zu fühlen und gänzlich zu verzweifeln.
    Seit Julianna die junge Frau beobachtete, hatte sie nur ein einziges Mal erlebt, dass jemand Kontakt mit ihr aufnahm, als ein Typ am Nachbartisch sie bat, ihm einige Päckchen Zucker herüberzureichen.
    Julianna

Weitere Kostenlose Bücher