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Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Titel: Alcatraz und die dunkle Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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winkte er mir zu und zeigte demonstrativ seine Hände, die mit Ketten aneinander gefesselt waren. Er trug keine Okulatorenlinsen, und hinter ihm standen zwei stämmig wirkende Männer in dunklen Roben und Sonnenbrillen, die seine Arme gepackt hielten.
    »Es sieht ganz so aus, als wäre ich gefangen genommen worden«, sagte Grandpa Smedry und rasselte mit seinen Ketten. »Ich hoffe nur, ich komme nicht zu spät!«

 
KAPITEL DREIZEHN
     
     
    Wir sind jetzt schon zwei komplette Kapitel hindurch in diesem Kerker gefangen. Und wir sind dabei, mit dem dritten Kapitel dort einzusteigen, vorausgesetzt, ich werde jemals mit dieser Einleitung fertig.
    Drei Kapitel sind, wenn es um Bücher geht, eine schrecklich lange Zeit. Denn in Romanen vergeht die Zeit anders als in Wirklichkeit, müsst ihr wissen. Der Autor kann zum Beispiel sagen: »Und ich saß vierzehn Jahre lang im Gefängnis, wo ich mir die Bildung eines wahren Gentleman aneignete und zudem herausfand, wo ein sagenhafter Schatz vergraben war.« Das hört sich an wie eine sehr lange Zeit – immerhin vierzehn Jahre –, aber es hat nur einen Satz gebraucht, um das alles zu erklären. Also hat es eigentlich überhaupt nicht lange gedauert.
    Drei Kapitel hingegen sind eine sehr lange Zeit. Das ist länger als die Zeit, die ich für den Aufenthalt bei meinen Pflegeeltern eingesetzt habe. Es ist länger als die Beschreibung meines Besuchs in der Tankstelle. Es ist sogar länger als die Zeit, die meine Kindheit beschreibt, die letzten Endes in ungefähr zwei Sätzen abgehandelt wurde.
    Warum also so eine lange Zeit im Gefängnis? Über genau diese Frage zerbrach ich mir den Kopf, während ich in der Zelle saß. Es gibt nur wenige Dinge, die so nervenaufreibend sind wie erzwungene Untätigkeit, und ich war jetzt schon seit zwei Kapiteln zur Untätigkeit verdammt. Okay, ich hatte einige wertvolle, tiefgründige Erkenntnisse über mich selbst gewonnen – aber der Augenblick für Dinge dieser Art war verstrichen. Es wäre mir fast lieber gewesen, an einen Altar gefesselt und geopfert zu werden, als herumsitzen zu müssen und zu warten, während mein Großvater weggeschleppt wurde, um irgendwo gefoltert zu werden. Wie gesagt, fast.
    Denn seht ihr, genau das war zwischen den beiden Kapiteln passiert – in einer Zeitspanne, die so kurz ist, dass sie praktisch gar nicht existiert. Während dieser nicht vorhandenen Leere hatte Blackburn ein paar Mal wie ein typischer geistesgestörter Bösewicht gelacht und Grandpa Smedry dann in das »Befragungszimmer« bringen lassen. Allem Anschein nach war der Dunkle Okulator außer sich vor Freude darüber, nun einen voll ausgebildeten Okulator foltern zu können.
    Andererseits – wer wäre das nicht?
    »Kommt sofort zurück!«, schrie Bastille und schlug immer wieder mit dem Latrineneimer gegen die Gitterstäbe. Jetzt war ich noch erleichterter, dass ich ihn nicht benutzt hatte.
    »Kommt zurück und kämpft!«, kreischte sie und schmiss den Eimer mit einer letzten heftigen Bewegung, in die sie ihre gesamte Wut legte, gegen die Stäbe, wo der hölzerne Behälter in ein Dutzend Einzelteile zersprang. Keuchend stand Bastille da, den abgebrochenen Henkel in der Hand.
    »Na ja«, flüsterte Sing, »wenigstens kehrt ihre gute Laune langsam zurück.«
    Genau, dachte ich. Zu diesem Zeitpunkt hatten meine Schmerzen so weit nachgelassen, dass sie kaum noch spürbar waren. (Später erfuhr ich, dass ich der Folterknechtlinse nur für ungefähr drei Sekunden ausgesetzt gewesen war. Bleibende Schäden entstehen erst nach circa fünf Sekunden.)
    Ich konnte nachvollziehen, wie Bastille sich fühlte – ich spürte sogar selbst ein wenig Wut in mir aufsteigen, auch wenn ich sie nicht durch die Zerstörung unschuldiger Haushaltsutensilien zum Ausdruck brachte. Je länger ich dort saß, umso größer wurde meine Scham darüber, wie schnell ich zusammengebrochen war. Aber allein die Erinnerung an diese drei Sekunden voller Schmerz ließ mich zittern.
    Und noch schlimmer als diese Erinnerung war das Bewusstsein, dass mein Großvater – ein Mann, den ich kaum kannte, den ich aber bereits durchaus lieb gewonnen hatte – gefangen genommen worden war. Genau in diesem Moment wurde der alte Mann wahrscheinlich dem Strahl der Folterknechtlinse ausgesetzt. Und seine Qualen würden länger dauern als drei Sekunden.
    Bastille bückte sich, griff nach den Überresten des Eimers und warf sie immer noch wütend durch das Gitter an die Wand im Gang.
    »Das bringt uns

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