Alcatraz und die dunkle Bibliothek
Bibliothekare, und in deinen Adern fließt Okulatorenblut. Wenn du nicht aufpasst, wirst du noch als rituelles Opfer enden. Wenn ich du wäre, würde ich mich ein bisschen entgegenkommender zeigen – ich bin wahrscheinlich die einzige Verbündete, die du hier finden wirst.«
Das war das erste Mal, dass ich etwas über ein Ritual hörte, bei dem Okulatoren geopfert wurden. Ich tat den Kommentar als leere Drohung ab.
Dummer, dummer Alcatraz.
»Wenn Sie die beste Verbündete sind, die ich finden kann, Ms. Fletcher«, erklärte ich ruhig, »dann stecke ich wirklich in ernsten Schwierigkeiten.«
»Das hat sich jetzt aber doch ein bisschen schnippisch angehört, Alcatraz«, warf Sing hilfsbereit ein. »Vielleicht solltest du da ein bisschen vorsichtiger sein.«
»Vielen Dank, Sing«, sagte ich höflich und musterte Ms. Fletcher aus zusammengekniffenen Augen.
»Ich kann dich hier rausholen, Alcatraz«, sagte sie. »Bring mich nicht dazu, etwas zu tun, das wir beide bereuen würden. Ich habe mich schließlich die ganzen Jahre um dich gekümmert, oder nicht? Du kannst mir vertrauen.«
Die ganzen Jahre um dich gekümmert … »Das stimmt«, stellte ich nüchtern fest. »Ja, Sie haben sich um mich gekümmert. Und jedes Mal, wenn eine Familie mich abgeschoben hat, haben Sie mir gesagt, ich sei nutzlos. Es war fast so, als wollten Sie, dass ich mir verlassen und bedeutungslos vorkam.« Ich schaute ihr direkt in die Augen. »Genau darum ging es, oder? Sie hatten Angst, dass ich irgendwann alles verstehen und meine Kräfte unter Kontrolle bekommen könnte – Sie hatten Angst, dass ich erfahren könnte, was es heißt, ein Smedry zu sein. Deswegen haben Sie mich immer so behandelt. Sie mussten dafür sorgen, dass ich verunsichert wurde, damit ich Ihnen vertraute – und meinem Talent nicht.«
Ms. Fletcher wich meinem Blick aus. »Hör zu, lass uns einfach eine Vereinbarung treffen. Ich werde dich hier rausholen, und um die Vergangenheit können wir uns später kümmern.«
»Und was ist mit den anderen?«, fragte ich und deutete mit dem Kopf auf Sing und Bastille. »Wenn ich freigelassen werde, was passiert dann mit ihnen?«
»Warum kümmert dich das?«, fragte Ms. Fletcher und heftete wieder ihren Blick auf mich.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
»Du hast dich wirklich geändert«, stellte Ms. Fletcher fest. »Und nicht gerade zum Besseren, so wie es aussieht. Ist das hier derselbe Junge, der gestern noch eine Küche abgefackelt hat? Seit wann interessierst du dich dafür, wie es anderen Menschen geht?«
Die korrekte Antwort auf diese Frage wäre natürlich »seit ungefähr fünf Minuten« gewesen. Ich hatte jedoch nicht vor, Ms. Fletcher diese Einzelheit anzuvertrauen.
»Okay«, sagte ich stattdessen. »Einigen wir uns auf einen Handel. Sie wollen wissen, wo der alte Mann ist? Tja, ich will auch so einiges wissen. Beantworten Sie meine Fragen, dann werde ich Ihre beantworten.«
»Na schön.« Jetzt verschränkte Ms. Fletcher die Arme vor der Brust.
Geschäftsmäßig wie immer, dachte ich. »Woher wussten Sie vom Sand von Rashid?«
Ms. Fletcher machte eine wegwerfende Handbewegung. »Deine Eltern haben ihn dir bei deiner Geburt versprochen. Das ist eine Tradition – bei seiner Geburt wird einem Kind öffentlich ein Erbe versprochen, das ihm dann an seinem dreizehnten Geburtstag übergeben wird. Jeder wusste, dass du den Sand bekommen solltest. Einige von uns waren etwas überrascht, dass er tatsächlich seinen Weg zu dir gefunden hat, aber wir waren natürlich trotzdem sehr erfreut, als er auftauchte.«
»Dann haben Sie also meine Eltern gekannt?«
»Natürlich. Ich habe sogar bei ihnen studiert. Ich dachte, sie könnten mich zum Okulator ausbilden.«
Ich schnaubte abfällig. »Das kann man nicht lernen.«
»Nun ja.« Ms. Fletcher wirkte ein wenig verunsichert. »Ich war damals noch sehr jung.«
»Sie waren also mit ihnen befreundet?«, hakte ich nach.
»Ich habe mich mit deinem Vater immer besser verstanden als mit deiner Mutter«, sagte Ms. Fletcher knapp.
»Haben Sie sie umgebracht?«, fragte ich zähneknirschend.
Ms. Fletcher stieß ein kurzes, humorloses Lachen aus. »Natürlich nicht. Sehe ich etwa aus wie eine Mörderin?«
»Sie haben mir den Mann mit der Waffe auf den Hals gehetzt.«
»Das war ein Missverständnis«, gestand Ms. Fletcher. »Außerdem waren deine Eltern Smedrys. Sie umzubringen, wäre noch schwieriger, als dich zu töten.«
»Und was wollen Sie von Grandpa
Weitere Kostenlose Bücher