Alcatraz und die letzte Schlacht: Band 4 (German Edition)
aber sie hatten einen Zoo.
Eigentlich war es eher eine Forschungsfarm, wo exotische Tiere gehalten wurden, um sie im Namen der Wissenschaft zu studieren. Meine Mutter, Shasta Smedry, war in einem großflächigen Käfig mit dicken Gitterstäben eingesperrt, der aussah, als hätte er einmal einen Tiger oder eine andere große Raubkatze beherbergt. Darin befand sich eine Art Felsenlandschaft mit einem kleinen Wasserbecken und einem Kletterbaum.
Leider hatten die Mokianer den Tiger herausgeholt, bevor sie meine Mutter hineingesperrt hatten. Wahrscheinlich zur Sicherheit des Tigers.
Ich lief auf den Käfig zu, flankiert von zwei mokianischen Leibwachen. Shasta saß mit züchtig übereinandergeschlagenen Beinen in einer Felsnische. Sie trug ihr Bibliothekarinnenkostüm mit dem knöchellangen grauen Rock und der hochgeschlossenen weißen Bluse und eine Hornbrille, die ich durch meine Okulatorenlinsen genau inspizierte, um ganz sicherzugehen, dass sie keinerlei magische Fähigkeiten besaß.
»Mutter«, sagte ich tonlos und trat an den Käfig.
»Sohn«, erwiderte sie.
Ich sollte erwähnen, dass ich ein ganz komisches Gefühl hatte. Während meiner allerersten Bibliotheksinfiltration hatte ich meiner Mutter in einer ganz ähnlichen Situation gegenübergestanden, nur war ichdamals hinter den Gittern gewesen und meine Mutter davor.
Trotz dieses entscheidenden Unterschieds fühlte ich mich kein bisschen sicherer.
»Ich brauche das Rezept für das Gegenmittel, das die Wirkung der Koma-Waffen der Bibliothekare aufhebt«, sagte ich zu ihr.
»Bedauerlicherweise kenne ich das nicht«, erwiderte sie.
Ich kniff die Augen zusammen. »Das glaube ich dir nicht.«
»Hm… wenn du nur irgendwie erkennen könntest, ob ich lüge oder nicht…«
Ich errötete, holte meine Wahrheitsfinderlinse heraus und schaute hindurch.
Meine Mutter sah mir ins Gesicht und sagte: »Ich kenne das Gegenmittel wirklich nicht.«
Die Worte quollen wie weiße Wolken aus ihrem Mund. Sie sagte die Wahrheit. Mir wurde ganz flau im Magen.
»Ich gehöre nicht zur Sekte der Geborstenen Linse«, fuhr meine Mutter fort. »Die würden einer wie mir niemals ein so wichtiges Geheimnis anvertrauen. Das kennt niemand aus dem Fußvolk. Es wird sehr sorgfältig gehütet, so wie hier das Rezept für das Gegenmittel gegen die mokianischen Betäubungsspeere wohl auch.«
Ich sah meine Leibwachen an. Aluki nickte. »Nur sehr wenige kennen unser Rezept, Majestät. Die Königin war eine von ihnen. Sonst weiß nur noch…«
»Sagen Sie es nicht«, unterbrach ich ihn und beobachtete meine Mutter.
Sie rollte nur die Augen. »Meinst du wirklich, mich interessiert dieser kleine Konflikt hier, Alcatraz? Es ist mir völlig egal, wie diese Belagerung ausgeht.«
Sie sagte die Wahrheit.
Ich knirschte vor Ärger mit den Zähnen. »Warum hast du dich dann in die Stadt geschlichen?«
Sie lächelte mich nur an. Es war ein unerträgliches wissendes Lächeln. Sie hatte mich selbst darauf hingewiesen, dass ich meine Wahrheitsfinderlinse benutzen konnte. Sie würde sich nicht dazu verleiten lassen, ein falsches Wort zu sagen. Zumindest nicht, solange ich sie nicht erschreckte oder ablenkte.
»Ich weiß, was ihr vorhabt, du und Vater«, sagte ich. »Wofür ihr die Übersetzerlinsen aus dem Sand von Rashid und dieses Buch aus dem Königlichen Archiv in Nalhalla braucht.«
»Du weißt gar nichts.«
»Ich weiß, dass ihr hinter das Geheimnis der Smedry-Talente kommen wollt«, fuhr ich fort. »Du hast meinen Vater geheiratet, um ein Talent zu erhalten, und vielleicht auch, um das Vertrauen der Familie zu gewinnen und die anderen Talente ebenfalls studieren zu können. Es ging immer nur um die Talente. Und jetzt willst du herausfinden, auf welche Weise die Inkarna überhaupt zu ihren Talenten kamen.«
Sie musterte mich. Etwas, das ich gesagt hatte, schien sie zögern zu lassen. Und sie sah mich irgendwie anders an als sonst. »Du hast dich verändert, Alcatraz.«
»Ja, ich habe heute Morgen meine Unterhose gewechselt.«
Sie rollte wieder die Augen. Dann stand sie auf. »Nimm diese Linse ab und lass deine Wachen zurück. Dann können wir uns unterhalten.«
»Was? Wieso sollte ich das tun?«
»Weil du deiner Mutter gehorchen solltest.«
»Meine Mutter ist eine skrupellose, bösartige und egozentrische Bibliothekarin, die nach der Weltherrschaft strebt!«
»Wir haben alle unsere Fehler«, sagte sie und schlenderte von mir weg, an den Gitterstäben entlang. »Tu, was ich gesagt habe,
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