Alchemie der Unsterblichkeit
einem Gedanken beherrscht wurde. Alles schien sich plötzlich zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Der Mord an dem Flurhüter hatte ihm den letzten Hinweis gegeben. Aufregung ließ seine Glieder kribbeln, während er gleichzeitig versuchte die zerschundenen Körper aus seinem Gedächtnis zu streichen. Jetzt musste er unbedingt im Traktat vom rechten Gebrauch der Alchimei nachschlagen. In der Bibliothek angekommen hielt er inne, stürmte dann zum Regal mit den geheimen Bänden und holte das Buch hervor. Er besaß ebenfalls ein Exemplar, doch hatte es nicht die Hälfte an Umfang. Icherios hörte, wie jemand hinter ihm den Raum betrat.
»Was ist geschehen?« Es war Sohon. In seiner Stimme klang aufrichtige Besorgnis. Vermutlich fragte er sich, ob der Anblick der Gefangenen zu viel für Icherios’ Verstand gewesen war.
Icherios ließ sich jedoch nicht beirren. Gebieterisch hob er die Hand und verlangte Stille. Endlich fand er, was er gesucht hatte. »Et sicut omnes res fuerunt ab uno, meditatione unius: sic omnes res natae fuerunt ab hac una re, adaptione«, zitierte er. »Und gleich wie alles aus einem durch des einzigen Schöpfers Wort entstanden: Also werden auch alle Ding nunmehr aus diesem einzigen Ding durch Anordnung der Natur geboren. So erzeuge denn die Tinktur der Unsterblichkeit aus dem Werke des Hermes, denn er besitzt alle drei Teile Weisheit dieser ganzen Welt.« Icherios hielt kurz inne. Triumph strahlte auf seinem Gesicht. »Ich kenne den Plan des Mörders.«
Sohon faltete die Hände. Die Geste erinnerte Icherios an seine Mutter, wenn er ihr eine wilde Entschuldigung für begangene Übeltaten vortrug.
»Der Mörder kann mit Hilfe von Vampir-, Menschen- und Werwolfblut eine Tinktur erzeugen, die ihm Unsterblichkeit verleiht. Sie verbindet dabei die Kräfte beider Wesen ohne die Nebenwirkungen, die das ewige Leben bei den Vampiren hat.
Sohon riss das Buch an sich und wiederholte die Worte. »Hermes, steh uns bei! Wir müssen ihn aufhalten, bevor er die letzten Morde begeht.«
Icherios senkte den Kopf. Er spürte einen Kloß in seiner Kehle. »Dafür ist es zu spät. Er hat Lynnart Kolchin, seine Frau und das Kind …« Icherios’ Stimme versagte.
Sohon erstarrte. Dann brach seine Wut in einem lauten Schrei heraus. Er schlug seine Faust gegen eine Regalwand. Das Holz splitterte. Einige Stücke blieben in seiner Hand stecken, bis die Regenerationskräfte des Vampirs einsetzten, sie herausschoben und die Wunde schlossen. »Ich werde dieses Monster büßen lassen.«
»Ich weiß vielleicht, wer der Mörder ist.«
»Wer?«, verlangte Sohon zu wissen.
Icherios schüttelte den Kopf. »Ich möchte keine falschen Anschuldigungen aussprechen. Wo ist Loretta?«
»In ihren Räumen. Nach dem Zwischenfall gestern habe ich ihr verdeutlicht, dass sie ihre Zimmerflucht nicht verlassen darf, solange Carissima oder ich sie nicht begleiten.«
Icherios spürte Mitleid in ihm aufsteigen. Lorettas schlimmste Ängste hatten sich bewahrheitet. »Hat Carissima Euch von dem Amulett berichtet?«
Der Vampir nickte. »Sie war zu aufgebracht, um sie danach zu fragen.«
»Es ist wichtig«, drängte Icherios. »Ich muss wissen, ob es Chaelas Kette ist.«
Der Fürst fluchte leise. »Ich habe meine Cousine in all ihren Gewändern gesehen, aber nie auf ihren Schmuck geachtet.« Dann sah er entschlossen auf. »Wir gehen zu ihr.«
Der Weg zu Loretta war kurz. Sie war in der Nähre der Bibliothek untergebracht. Bei Icherios’ Anblick fletschte sie die Zähne wie eine zornige Wildkatze. Doch ein warnender Blick von Sohon genügte, um sie in Zaum zu halten.
»Wo ist das Amulett, das du gestern getragen hast. Und wo hast du es her?«
Loretta drehte ihnen den Rücken zu. Sie trug ein dunkelgraues Seidenkleid, das ihre unnatürliche Blässe betonte.
Sohon hatte keine Geduld für ihre Spielchen. Er packte sie am Arm und riss sie herum. »Wir können unsere Unterhaltung von gestern gerne fortsetzen.« In Lorettas Augen glomm der Hass auf, doch sie beugte sich. Langsam ging sie zu einer Schatulle, holte das Amulett heraus und schleuderte es dem Vampir direkt ins Gesicht. »Mein Leben hast du schon, was bedeutet da noch Schmuck?«
Sohon reichte die Kette an Icherios weiter. Es war dieselbe. Icherios war sich sicher. Trotzdem zog er die Skizze hervor und verglich sie. Es stimmte bis ins letzte Detail. Er nickte dem Fürsten zu. Dieser wandte sich an Loretta. »Wo hast du sie her?«
»Es lag vorgestern Morgen vor meinem Zimmer. Ich
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