Alchemie der Unsterblichkeit
ganz artig.« Dann schnitt er. Ein Keuchen kam über Evas Lippen, mehr nicht. Der Mann hielt ihren Arm so, dass das Blut in die Schüssel tropfte. Nach den ersten paar Tropfen färbte sich die Flüssigkeit schwarz. Auch aus der Stirn quoll nun eine dunkle Flüssigkeit und wandelte ihre Tränen in ein schwarzes Rinnsal. Ohnmächtig vor Wut musste Lynnart beobachten, wie das andere Handgelenk seiner Frau aufgeschlitzt wurde. Das Blut sprudelte nur so aus ihr hervor.
Eva suchte Lynnarts Blick. Sie wollte in ihrem letzten Moment ein geliebtes Gesicht vor Augen haben. Mit dem Blut flossen Schmerz und Angst aus ihr heraus. Eine eigentümliche Euphorie breitete sich in ihr aus. »Ich liebe dich.«
Bei diesen Worten lief das Gesicht ihres Peinigers rot an. »Hure!« Er zerrte sie an den Haaren nach hinten und schlitzte ihre Kehle auf. Wie eine Stoffpuppe sackte sie in sich zusammen.
Lynnart bäumte sich in den Fesseln auf. Er wusste, dass er ihr nicht mehr helfen konnte. Seine einzige Hoffnung war, dass Kassandra verschont bleiben würde.
Sein Halbbruder blickte prüfend in die Schüssel. »Das wird reichen.« Dann riss er einen blutdurchtränkten Stofffetzen aus ihrem Kleid und knebelte Lynnart.
Anschließend ging er zur Wiege.
37
Die Folterkammer
G
F rüh am nächsten Morgen sprang Icherios aus dem Bett. Er kramte in seiner Tasche und holte einen Beutel mit Nüssen hervor, die er vor Maleficium auftürmte. »Lass es dir schmecken.« Dann tanzte er zu seinen Kleidern hinüber und zog sich an. Er hatte sich lange nicht mehr so gut gefühlt.
Carissima hatte recht gehabt, er konnte nicht der Mörder von Vallentin sein. Die Wahrheit war schon immer in ihm gewesen, verborgen unter einer dicken Schicht Selbstzweifel. Nun war die Last vom Tod des Freundes endlich von seiner Schultern gefallen, und er fühlte sich wie neugeboren. Carissima hatte mit noch etwas anderem recht: Er hatte jede Bindung gescheut, solange er nicht wusste, ob er zu einem Mord an einem Freund in der Lage war. Er wollte früh am Morgen zu Kolchin gehen und ihm von seiner Entdeckung um die Herkunft der Vampire und Werwölfe berichten. Vielleicht würden sie zusammen eine Spur finden. Gleichzeitig hoffte er, ihre aufkeimende Freundschaft vertiefen zu können. Und auch über Carissima musste er sich Gedanken machen. So fremdartig sie war, so sehr faszinierte sie ihn. Normalerweise hieß es, dass Frauen von Gefahr angezogen wurden. Anscheinend galt das auch für Männer wie ihn. Vergnügt hob er Maleficium auf, der sein Glück über die Nüsse mit lautem Quieken kund tat, und steckte ihn in seine Tasche. Das kleine Tier umklammerte zwei Haselnüsse mit den Pfötchen. Er wollte seinen Schatz nicht zurücklassen. Beruhigend tätschelte Icherios ihm den Kopf, sammelte die restlichen Nüsse auf und stopfte sie ebenfalls in seine Jacke. Sofort verschwand Maleficium. Einzig das Strampeln in der Tasche verriet seine Anwesenheit.
Bevor Icherios seine Räumlichkeiten verließ, zog er die Vorhänge zu Seite. Ein Blick nach draußen bestätigte seine Vermutung, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war. Die Morgendämmerung brach herein. Die bevorzugte Schlafenszeit der Vampire von Dornfelde.
Auf dem Weg zur Eingangshalle hörte er ein leises Wehklagen. Während er die Treppen hinabstieg, stellte er fest, dass die Geräusche irgendwo unter dem Westflügel ihren Ursprung hatten. Icherios zögerte. Carissimas Warnung war ihm noch im Ohr. Aber er konnte niemanden, der Hilfe benötigte, unbeachtet lassen. Die Erinnerung an sein Versagen bei Maribelle half ihm, einen Entschluss zu fassen. Vorsichtig ging er den Gang zum Westflügel hinunter. Nur wenige Lampen brannten. Dunkle Schatten tanzten an den Wänden. Das Stöhnen wurde immer lauter. Am Ende des Ganges blieb er vor einer Tür stehen. Icherios hielt einen Moment inne, dann öffnete er sie. Zu seiner Überraschung war sie nicht verschlossen. Er sah, dass dahinter eine Kellertreppe lag, die in ein von Fackeln erleuchtetes Gewölbe hinunterführte. Von dort kam auch das Stöhnen. Icherios lief kalter Schweiß den Rücken hinab, als er der Treppe nach unten folgte. Das Gewölbe war ein Kerker. Neben der Stiege stand ein mit Handschellen und Haken beladener Tisch, umringt von einigen morschen Stühlen. Der Boden war feucht. Erst dachte Icherios, dass es sich nur um Wasser handelte, dann erkannte er, dass ein großer Teil davon Blut war. Frisches und angetrocknetes Blut bedeckten den Boden, die Wände, die Haken und
Weitere Kostenlose Bücher