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Alchemie der Unsterblichkeit

Alchemie der Unsterblichkeit

Titel: Alchemie der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Pflieger
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zusätzlichen Gliedmaßen fügten sich nahtlos an die anderen an. Dann blickte er Renfin in die Augen. Für einen Moment hielt er den Atem an, doch nichts geschah.
    Die blassblauen Augen des Kutschers funkelten belustigt. »Ich sammle keine Seelen.«
    Icherios lief rot an und schaute sich im Gastraum um. Stille war eingekehrt. Die verbliebenen Gäste entfernten sich aus Renfins Nähe.
    »Wir werden morgen früh abreisen. Ich lasse Sie wecken.« Renfin ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. »Ich ziehe mich jetzt zurück. Der Gestank der Angst verdirbt mir den Appetit.« Bevor er sich abwandte, spuckte er verächtlich vor die Füße eines zusammengesunkenen Tagelöhners.

5
    Die Steigenwacht
    G
    M it Hilfe eines kleinen Schlucks Laudanum fiel Icherios in einen tiefen Schlaf, aus dem ihn noch vor Morgengrauen ein zaghaftes Pochen an der Tür weckte. Nur mit seinem Nachthemd bekleidet öffnete Icherios die Tür. Beim Anblick einer zierlichen, jungen Frau mit dunklen Rehaugen errötete er.
    »Meister Zwölffinger schickt mich, Sie zu wecken, Herr.«
    Icherios nickte verlegen.
    Die Frau griff in die Tasche ihrer Schürze und zog ein mit Waldglassplittern besetztes Holzkreuz an einer langen Lederschnur hervor. »Nehmt das. Es soll Euch vor bösen Geistern schützen.«
    Icherios wollte abwehren, doch sie packte sein Handgelenk und öffnete seine Finger mit erstaunlicher Kraft. Dann drückte sie ihm das Kreuz in die Hand und eilte davon. Mit einem Schulterzucken legte er es um.
    Renfin wartete im Hof, über ihm war ein tief hängender, gelber Mond zu sehen. Die Kutsche erinnerte in ihrer kleinen, stabilen Bauweise aus dickem Holz an ein Kriegsgefährt. Eiserne Beschläge schützten die Seiten, und Kappen aus Metall zierten die Räder. Zwei Knechte spannten vier Kaltblüter mit gestutzten Schweifen und dunklen Mähnen ein. Mit derart schweren Tieren würde die Fahrt noch langsamer vorangehen. Icherios hörte ein lautes Klirren, als Renfin seine Kiste auf das Dach wuchtete. Icherios bezweifelte, dass eines seiner Geräte die Reise überstehen würde. Das Innere des Gefährts bot ausreichend Platz, und die Sitze wiesen weiche Polster auf. Als einziger Fahrgast breitete sich Icherios aus und genoss es, seine langen Beine nicht falten zu müssen. Noch bevor die Kutsche anzog, fielen ihm die Augen zu.
    Ein kreischendes Geräusch und hartes Ruckeln weckten ihn. Beim nächsten Stoß fiel Icherios von der Bank. Sobald er Halt gefunden hatte, schob er die leichten Vorhänge am rechten Fenster zur Seite. Die Sonne stand hoch am Himmel. Als sein Blick nach unten glitt, fuhr er bei dem Anblick, der sich ihm bot, zurück und klammerte sich auf der anderen Seite des Innenraumes fest. Ein gähnender Abgrund tat sich neben der Straße auf. Der Sturm im letzten Herbst hatte alle Bäume niedergemäht, sodass man freien Blick auf den nahezu senkrecht abfallenden Hang hatte, der sich über hundert Meter in die Tiefe erstreckte. Der Weg war so schmal, dass die Räder der Kutsche auf der anderen Seite anstießen und ein markerschütterndes Kreischen erzeugten. Icherios rollte sich wimmernd auf dem Kutschenboden zusammen. Kalter Schweiß benetzte seinen Körper.
    Es war bereits Nachmittag als sie anhielten. Icherios wollte sich aufrichten, aber die holprige Fahrt und die verkrampfte Haltung hatten seine Glieder steif werden lassen.
    Nachdem Renfin mehrfach nach ihm gerufen hatte, öffnete er die Tür. Bei Icherios’ Anblick verzogen sich seine Lippen zu einem Grinsen. Der junge Inspektor war nicht der erste Fremdling, den er zusammengekauert im Innern der Kutsche vorgefunden hatte. Von einem Mann, der die grausamen Morde aufklären sollte, hatte er allerdings mehr erwartet.
    Mit Renfins Hilfe gelang es Icherios sich aufzurichten und zu einem Stein zu gehen, auf dem er sich stöhnend niederließ.
    Renfin breitete seine Arme aus und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Der Gipfel des Sängerkopfes.«
    Icherios Atem hatte sich so weit beruhigt, dass er die Umgebung wahrnehmen konnte. Sie befanden sich auf dem Gipfel eines Berges, der ihnen einen Ausblick auf die benachbarten, dicht bewaldeten Höhen ermöglichte. Nirgends war ein Zeichen von Zivilisation zu erkennen, nur unendliche Reihen von Bäumen, durchschnitten von Bächen, die sich an manch felsiger Stelle in die Tiefe stürzten. Der Gipfel des Sängerkopfes bestand aus einem Hochmoor, das dicht bewachsen mit Wollgräsern, Rasenbinsen und Heidekräutern war. Die Luft war so kalt,

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