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Alchemie der Unsterblichkeit

Alchemie der Unsterblichkeit

Titel: Alchemie der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Pflieger
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Trotz der Feuchtigkeit, des Schimmels und des Mooses an den Wänden, konnte man erkennen, dass Loretta sich bemüht hatte, Maribelles Wohnraum etwas Schönheit zu verleihen. Wandteppiche zierten die groben Mauern. Bett, Tisch und Stuhl wiesen zahlreiche Kratzer auf, waren aber von solider Machart. Neben der Feuchtigkeit, die sich wie ein schleimiger Film auf die Haut legte, herrschte in dem Raum ein übler Geruch von verdorbenem Essen und ungewaschenen Leibern.
    Icherios empfand tiefes Mitleid mit Lorettas Schwester. Er erinnerte sich lebhaft an seinen Besuch in einem Irrenhaus. Noch immer verfolgten ihn die Schreie der Geisteskranken, die nackt an blanke Wände gekettet, in ihrem Wahn übereinander herfielen. Die friedlichen, nur leicht verwirrten Menschen hatten keine Chance gegen die brutale Gewalt in dieser Einrichtung. Im Vergleich zu ihnen lebte Maribelle in einem Palast und wurde zumindest körperlich nicht misshandelt.
    Mit einem kleineren Schlüssel sperrte Loretta die Tür zu Maribelles Käfig auf. Ihre Schwester kauerte sich auf ihrem Bett zusammen und beäugte den Fremden misstrauisch. Icherios zögerte hineinzugehen. Schon der Gedanke, sie berühren zu müssen, erschreckte ihn. Er musste an seinen Großvater denken, der ein stattlicher, reicher Mann gewesen war. Er hatte immer Süßigkeiten und ein gutes Wort für ihn gehabt, bis er eines Tages dem Wahnsinn verfallen war. Sabbernd und geifernd war er nur noch durch das Haus geirrt, bis ihn zwei Männer abgeholt hatten und er aus seinem Leben verschwunden war. Jahre später erfuhr Icherios, dass er alleine, ohne Kontakt zu seiner Familie, gestorben war. Seitdem plagte ihn die unsägliche Angst, ebenso dem Irrsinn verfallen zu können wie sein Großvater. Und nun sollte er eine Geisteskranke berühren und sich womöglich anstecken? Lorettas Flehen ließ ihm keine Wahl. Sie setzte sich neben ihre Schwester, legte beruhigend einen Arm um sie und schaute fragend zu dem jungen Inspektor auf.
    Icherios trat näher an Maribelle heran. Er vermied jedoch jede Art von Blickkontakt. Während er innerlich mit sich rang, ging er zögerlich um sie herum. Der Eimer, der als Abort diente, zeigte Spuren von Erbrochenem. »Was für Symptome weist sie auf?«
    Loretta strich feuchte Strähnen aus dem Gesicht ihrer Schwester. »Als ich sie heute Morgen fand, wand sie sich in Bauchkrämpfen. Ihre Haut ist nass und kalt. Fühlen Sie!«
    Icherios ignorierte die Aufforderung. »Fiebert sie?«
    Loretta legte die Hand auf die Stirn ihrer Schwester und blickte ihr prüfend in die Augen. Plötzlich packte Maribelle ihren Arm und presste unbeholfene Worte heraus. »Mein Bruder? Warum ist er verloren?«
    Loretta löste sich sanft aus Maribelles Griff. »Ist ja gut, meine Liebe.« Dann wandte sie sich an Icherios. »Sie glüht.«
    »Weshalb fragt sie nach einem Bruder? Ich dachte, es gäbe nur sie beide?«
    »Beachten Sie sie nicht. Sie redet wirr, seit ich mich erinnern kann.« Loretta strich ihrer Schwester liebevoll über die Wange. »Was fehlt ihr?«
    »Eine harmlose Schwäche. Der Keller ist kalt und nass. Ein Wunder, dass sie so lange überlebt hat. Wenn sie genesen soll, muss sie in ein warmes, trockenes Zimmer. Mit sorgfältiger Pflege wird sie bald wieder gesund werden. Sorgt Euch nicht.« Icherios hoffte, dass sich seine Worte nicht als Lüge erweisen würden. Es war gewagt, eine derart positive Diagnose zu stellen, ohne die Patientin zu berühren.
    Dann erklang plötzlich ein Poltern im dunklen Treppenaufgang, und Icherios fuhr herum. Begleitet von lautem Schnaufen trampelte der Bürgermeister die Treppe herab. »Was geht hier vor?« Arkens Unmut, seine Tochter zusammen mit Icherios anzutreffen, war nicht zu übersehen.
    »Seid nicht böse. Ich habe den Inspektor darum gebeten, Maribelle zu untersuchen. Sie ist krank.«
    »Du hättest mich vorher fragen sollen.«
    »Ich war so in Sorge, dass ich mich vergaß.« Lorettas Gesichtsausdruck wirkte hart und bestimmt und schien so gar nicht zu dem demütig gesenkten Kopf zu passen.
    »Was fehlt dem Ding?«
    Icherios sah sich gezwungen, seine Diagnose zu wiederholen. Jedes seiner Worte verstärkte sein schlechtes Gewissen. »Es ist eine Schwäche, verursacht durch Miasmen, Gifte, die aus dem Erdreich aufsteigen. Sie muss in ein richtiges Zimmer umziehen, um zu genesen.«
    »Was soll es denn mit einem Zimmer anfangen? Es wird nur die Möbel zerschlagen und die Tapeten von den Wänden reißen.«
    »Vater, bitte. Ich flehe Euch schon

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