Alchemie der Unsterblichkeit
Notizen durch. Ihn beschlich das Gefühl, etwas Entscheidendes übersehen zu haben. Er beschloss, sein Chymisches Werk durchzuarbeiten, um eine Erklärung für das schwarze Blut zu finden. Er war sich sicher, dass es mit einem alchemistischen Ritual zusammenhing.
Er war noch nicht über die erste Seite hinaus, die eine umständliche Danksagung an Lehrer und Verwandte beinhaltete, als es zurückhaltend an der Tür klopfte. Icherios wappnete sich innerlich für ein neuerliches Streitgespräch mit dem Bürgermeister, bevor er die Tür öffnete. Doch dann stand Loretta, schön wie die Abendsonne, vor ihm. Sie trug ein weißes Kleid mit grün-gelben Blumen und einer passenden dunkelgrünen Jacke, die ihren Hals mit einem spitzenbesetzten Kragen umschloss. Kleine Glasperlen ersetzten die Knöpfe. Ihr Haar war nachlässig hochgesteckt worden. Einzelne, vorwitzige Locken spielten um ihre feinen Züge. »Ich wollte mich dafür bedanken, dass Sie sich so gut um Maribelle gekümmert haben. Sie schläft jetzt in ihrem neuen Zimmer.«
Scham machte sich erneut in Icherios breit. »Ihr braucht mir nicht zu danken.«
»Doch, doch!« Loretta trat vor und ergriff seine Hände. Er konnte den schwachen Geruch von Pfefferminz in ihrem Atem riechen. An der Stelle, an der sie sich berührten, prickelte seine Haut. »Ich bin so froh, sie endlich aus dem Keller zu wissen. Diese Behandlung hat sie nicht verdient. Sie ist nicht gefährlich, nur unendlich traurig und verwirrt.«
Icherios wusste, dass er sich von ihr lösen sollte, doch die Gefühle, die sie in ihm auslöste, spülten seine Selbstbeherrschung davon. Seine Finger blieben in die ihren verschränkt. »Es ist mir eine Ehre, Euch helfen zu können, Herrin.«
»Nennt mich Loretta.«
»Wie Sie wünschen, Loretta.«
»Mein Dank ist nicht der einzige Grund, der mich hierher führt. Ich darf euch doch Icherios nennen?« Loretta riss ihre Augen in gespielter Unschuld auf.
Abgelenkt durch ihre Nähe und die Wärme, die ihr Körper ausstrahlte, nickte Icherios.
»Ich möchte, dass Ihr mich nach Karlsruhe mitnehmt. Mich und Maribelle.«
Icherios zuckte zurück. »Was?« Er hatte vieles erwartet, aber nicht diese Bitte.
»Versteht Ihr denn nicht? Dornfelde ist ein einziges Gefängnis. Ich will nicht zum Vampir werden, und ich will auch nicht die Gemahlin des Fürsten werden. In Karlsruhe wären Maribelle und ich in Sicherheit. Was geschieht sonst mit meiner Schwester, wenn ich die Fürstin von Sohon bin? Calan würde sie niemals im Schloss dulden.«
»Der Fürst ist Euch sehr zugetan. Er wird Euch jeden Wunsch gewähren.«
»Nur nicht den Wunsch, am Leben zu bleiben.«
»In Karlsruhe seid Ihr aber nicht außer Gefahr. Wie wollt Ihr den Vampiren und Werwölfen entkommen?«
»Wir hätten immerhin eine Chance. Sie dürfen in der Stadt schließlich nicht offen auftreten und fristen ihr Dasein im Verborgenen.« Loretta holte tief Luft. Ihr Busen bebte. Die folgenden Worte kosteten sie sichtlich Überwindung. »Heiraten Sie mich! Dann haben sie keine Macht über uns.« Röte stieg in ihre Wangen.
Icherios riss die Augen auf. Wäre ihr Verlobter kein Vampirfürst, hätte es der glücklichste Tag seines Leben werden können. »Sie könnten uns immer noch töten.«
»Warum sollten sie?«
Icherios wusste zahlreiche Gründe, doch in Lorettas Augen lag ein Glanz, der deutlich zeigte, dass sie alle Bedenken beiseitewischen würde.
»Bitte Icherios, überlegt es Euch.« Loretta hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Mein Leben hängt davon ab.«
Mit diesen Worten rauschte sie aus dem Raum und ließ einen verwirrten Icherios zurück. Loretta war wunderschön, intelligent und einfühlsam, doch was würde der Fürst mit ihm machen, wenn er ihm die Braut raubte? Icherios’ Wissen über Vampire war für Sohon schon jetzt Grund genug ihn umzubringen. Die Konsequenzen für das Durchbrennen mit Loretta mochten weitaus schrecklicher sein. Vor allem wenn es stimmte, dass ein großer Teil Dornfeldes eigentlich der Familie Freylung gehörte. Loretta wäre somit Sohons einzige Möglichkeit, sich seinen Besitz zu sichern.
Icherios beschloss, sich wieder seiner Arbeit zuzuwenden und seinen Versuchsaufbau zur Analyse des Blutes vorzubereiten. Er zog seine schwere Holzkiste unter dem Bett hervor und mühte sich damit ab, den vernagelten Deckel zu lösen. Er wollte nicht im Haus umherirren, um nach einem Stemmeisen zu suchen. Für einen Tag hatte er genügend unangenehme und verwirrende Begegnungen
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