Alchemie der Unsterblichkeit
Kegelform ergibt. Diese wird dann mit einer luftdichten Decke aus Gras, Moos und Erde bedeckt. Im Feuerschacht wird der Meiler entzündet. Je nach Größe bildet sich in acht Tagen bis mehreren Wochen Holzkohle. Daher muss ständig darauf geachtet werden, dass der Meiler nicht erlischt oder in Flammen aufgeht. Wegen der Irrlichter wird die meiste Kohle im Sommer erzeugt. Nur Kuntz Belwin wagt es, im Winter hierzubleiben.«
»Ihr kennt Euch gut aus.«
Kolchin zog verlegen die Schultern hoch. »Mein Vater arbeitete für Meister Belwin. Deshalb war ich oft in der Köhlerei unterwegs und habe geholfen.« Er zeigte auf eine Narbe an seinem Unterarm. »Ich lernte früh, bei den aktiven Meilern vorsichtig zu seien und niemals auf ihnen zu spielen.« Er linste verstohlen auf Icherios Arme. »Eure Narben an den Handgelenken, darf ich fragen, wo Ihr sie herhabt?«
»Das ist eine lange Geschichte«, wiegelte Icherios ab. »Wo finden wir den Meister?«
»Vermutlich bei den Hütten. Er ist im Sommer mehr mit der Buchhaltung beschäftigt als mit den Arbeiten in der Köhlerei. Ihr solltet geduldig im Umgang mit ihm sein. Sein Verhalten ist manchmal etwas merkwürdig. In den Wintermonaten ist er oft der Einzige hier draußen.« Kolchin deutete auf ein niedriges, fensterloses Gebäude, das wie ein dunkler, stabiler Würfel aussah. »Seht Ihr diesen Schuppen?« Er vergewisserte sich, dass Icherios ihm folgte. »In diesem Verlies verbringt er die Nächte, um seine Meiler im Winter nicht verlassen zu müssen. Diese einsamen Stunden haben Spuren in seinem Geist hinterlassen.«
Die Ankunft der Männer hatte bereits die Aufmerksamkeit des Meisters erregt. Ein kleiner magerer Mann mit einer roten Kappe eilte auf sie zu. Seine Bewegungen waren unruhig und abgehackt, als wenn er ständig darauf gefasst wäre, sich in Deckung werfen zu müssen. Stürmisch umarmte er den Flurhüter, dann erfasste er mit einem hektischen Blick Icherios. Die Hände auf Kolchins Schultern gelegt, zischte er: »Was schleppst du denn da an, mein Junge? Von Außen kommt nur Schlechtes. Denk an deinen Vater!«
Icherios versuchte, die Hände des Mannes nicht die ganze Zeit anzustarren, denn es fehlten an jeder Hand mehrere Finger. Außerdem waren sie übersät mit verhärteten Brandnarben. Ruß und verbrannte Haut bildeten einen ledrigen Überzug, unter dem das rohe Fleisch hervorbrach.
Icherios stellte sich vor. »Inspektor Ceihn aus Karlsruhe. Ich bin mit der Aufklärung der Mordserie betraut.« Die grobe Unhöflichkeit der Menschen im Dunklen Territorium prallte inzwischen an ihm ab. Das harte, einfache Leben verlangte Vertrauen untereinander, aber ebenso schürte es Misstrauen allem Fremden gegenüber.
»Dann glauben Sie, dass der Junge hier nicht gut genug ist, um sich um unsere Angelegenheiten zu kümmern?«, fuhr Meister Belwin ihn an.
»Ist schon gut, Meister Belwin, ich habe ihn gerufen«, wandte Kolchin verlegen ein. Das Gespräch fing noch schlechter an, als er befürchtet hatte. »In der Stadt hat man mehr Erfahrung mit Morden.«
»Ich sag doch: Alles Böse kommt von Außen. Niemand hier würde eine derartige Schandtat begehen. Ich kenne meine Arbeiter seit Jahren und vertraue ihnen jeden Tag mein Leben an. Also, was wollt Ihr von mir? Schaut lieber bei den Vagabunden nach!«
»Genau das ist unser Problem«, erklärte Kolchin. Danach berichtete er ihm von den Ghoulen auf dem Friedhof. Der Meister umklammerte ein massives Eisenkreuz, das an einer kurzen, dicken Kette um seinen Hals hing. Seine Augen zuckten noch nervöser als zuvor. »Was hat das mit mir zu tun?«
»In einem Kohlemeiler lassen sich unliebsame Leichen vernichten«, mischte sich Icherios ein. »Ist etwas Seltsames vorgefallen in letzter Zeit?«
»Natürlich nicht.«
Icherios gab seinem Begleiter unmerklich ein Zeichen, weiter nachzufragen.
»Kuntz, weißt du sonst etwas über die Ghoule oder den Verbleib der Opfer?«
»Opfer kann man dieses unheilige Pack wohl nicht nennen. Was mit ihnen geschah, war Gottes Wille.«
Icherios staunte über die Doppelmoral des Meisters. Auf der einen Seite nutzte er die Arbeitskraft der Werwölfe, auf der anderen verfluchte er sie. Er fragte sich, wie das Zusammenleben in Dornfelde so lange hatte friedlich verlaufen können. »Sind Ghoule auf dem heiligen Boden des Friedhofs ebenfalls Gottes Wille?«
Der Meister wiegte den Kopf hin und her. »Gottes Wille ist unergründlich.«
»Nur, der Mörder konnte die Leichen verstecken.« Icherios
Weitere Kostenlose Bücher