Alchemie der Unsterblichkeit
Trauerweide.
Icherios bewunderte ihn für seine Selbstbeherrschung. Der Zorn, der so leicht in diesem Wesen hochkochte, wirkte übermächtig.
»War das wirklich nötig?«, fauchte Icherios. »Die ganzen Lügen spielen dem Mörder ohnehin in die Hände.«
»Wie können Sie es wagen?« Der Bürgermeister keuchte vor Wut.
»Ich kann es wagen, weil mir niemand die Wahrheit sagt. Was hat es mit dem Tod Ihrer Frau auf sich? Was geschah mit dem Kind? Wem gehören die Ländereien um Dornfelde? Dem Fürsten oder der Familie Freylung?« Icherios fühlte sich ungeahnt befreit. Er hatte noch nie zuvor seinen Gefühlen derart freien Lauf gelassen. Es tat gut, sich den Zorn von der Seele zu reden und nicht ständig unterwürfig zu schweigen.
Bei der Erwähnung des Kindes erblasste der Pfarrer, während der Bürgermeister rot anlief. »Das sind Familienangelegenheiten, die Sie nichts angehen. Der Verlust meiner geliebten Frau und meines Sohnes waren ein schwerer Schlag für mich, da muss nicht auch noch ein Außenseiter meinen, sich einzumischen.«
»Ich werde den Mörder finden, egal wer oder was es ist. Verlassen Sie sich darauf.« Icherios’ Worte klangen mehr wie eine Drohung, denn wie ein Versprechen. »Und ich werde die Geheimnisse in diesem Ort aufdecken. Wenn Sie die Morde verhindern wollen, sprechen Sie offen mit mir. So meine Herren, und nun lassen Sie mich meine Arbeit tun. Rabensang, können Sie bitte veranlassen, dass die Leiche zum Schloss gebracht wird? Ich hole meine Instrumente, dann komme ich nach.«
Rabensang stand auf. »Gerne.«
Icherios beachtete Arken und Bernsten nicht, als er sich abwandte. Als er die Straße entlangging, kam Kolchin auf ihn zu. Der Amtsmann war zwar blass, wirkte aber kräftig genug, um laufen zu können. Icherios warf ihm nur einen traurigen Blick zu, ging dann aber weiter. Bevor Icherios am Ende der Straße um die Ecke verschwand, konnte er noch sehen, wie sich der Bürgermeister und der Pfarrer auf den Flurhüter stürzten und auf ihn einredeten. Nun, da seine Wut verflogen war, zitterte Icherios am ganzen Leib. Das befreite Gefühl von vorhin war verflogen und machte nun der ihm so vertrauten Beklommenheit Platz.
Einige Stunden später kletterte er, trotz seines immer noch schmerzenden Knies, die Treppe zur Feste hinauf. Entschlossen öffnete Icherios die Tür zur Leichenhalle, wo er alles so vorfand, wie er es beim letzten Mal hinterlassen hatte. Nur Chaelas übel zugerichteter Körper war nun ebenfalls dort aufgebahrt. Bevor er mit der Obduktion begann, entnahm er Sohons Cousine mit einer Spritze eine Probe des schwarzen Blutes.
Die weitere Untersuchung und Sektion der Leiche ergaben keine neuen Erkenntnisse. Einzig der blutfreie Fleck am Hals gab ihm zu denken. Er vervollständigte seine Zeichnung. Icherios vermutete, dass es sich um eine Kette mit einem dreieckigen Amulett handelte.
Die letzte Naht, um den geöffneten Leib zu verschließen, musste noch verknotet werden, als der Fürst hereinstürmte. Hinter ihm stützte sich Kolchin schweißgebadet, blass und außer Atem am Türrahmen ab. Sohon packte Icherios an den Schultern. Für einen Moment glaubte der Gelehrte, der Vampir würde ihn töten. Dann geschah das Unvermutete: Blutige Tränen traten in Sohons Augen. Mit zitternden Fingern strich er über Chaelas bleiche Wange. »Findet den Mörder«, flüsterte er. Er ballte die Fäuste und verharrte einen Augenblick über ihren Körper gebeugt. Dann drehte er sich um, stieß den Flurhüter zur Seite und verschwand im Dunkeln. Die beiden Männer blieben schweigend zurück.
Mit bebenden Händen schnitt Icherios den Faden ab und deckte die Leiche zu. Kolchin räusperte sich schließlich. »Ich habe in Chaelas Haus ein Glas Wein gefunden. Der Mörder scheint nachlässig zu werden. Ich habe es in Ihr Zimmer bringen lassen.«
Der Flurhüter lernte schnell. »Danke, ich werde es untersuchen, um zu prüfen, ob unsere Theorie stimmt. Man sieht keine Kampfspuren, also muss der Mörder sie betäubt haben, bevor er ihr den Pflock ins Herz rammte. Er brach in ihr Haus ein, versetzte den Wein mit dem betäubenden Gift und wartete anschließend, bis sie gelähmt war.«
»Was macht das noch für einen Sinn? Wir werden den Mörder nie finden.« Kolchin kauerte sich in einer Ecke zusammen.
»Wir werden ihn fassen. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
»Zeit! Wissen Sie, wovon Sie da sprechen? Wir haben keine Zeit mehr, denn entweder löschen uns die Vampire aus, oder der Mörder
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