Alchemie der Unsterblichkeit
gegenüberstand?
Trotz der Angst und der körperlichen Zerschlagenheit, erfüllte ihn Hoffnung. Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster. In dem Glas spiegelte sich eine durchscheinende Gestalt, die hinter ihm stand. Mit einem Aufschrei fiel er vom Stuhl. Die Grabende Helene kicherte vergnügt über ihren gelungenen Auftritt.
»Wenn in der Nacht knirschend Knochen krachen,
eile ich herbei und erschrecke dich ganz sacht.«
Der Geist sprach erneut in diesen seltsamen Reimen.
Icherios rieb sich sein schmerzendes Hinterteil. »Sacht war das nicht.«
»Blutdämons Pracht sich nur enthüllt in der Nacht.«
Icherios horchte auf. »Du kennst den Blutdämon?«
Die Grabende Helene glitt an ihm vorbei zu den Gläschen mit Blut. Langsam fuhren ihre Finger durch das Glas, hinterließen ein leichtes Klingen wie ein fernes Glockenspiel. »Unsterbliches Blut für sterbliche Wut.« Sie lächelte ihn traurig an.
»Weißt du, wie man zum Dämon gelangt?« Icherios streckte ihr die Hände flehentlich entgegen.
»Der Fürst im Dunkeln ruht,
hüte dich vor seiner Glut.«
Dann stimmte sie das Lied an, das die Kinder im Dorf immer sangen, und begann dabei wie diese im Kreis zu hüpfen.
Brüderlein, komm, tanz mit mir!
Beide Hände reich ich dir.
Einmal links, einmal rechts,
Linksherum, das ist nicht schwer.
Ei, das hast du schön gemacht!
Ei, das hätt ich nicht gedacht!
Einmal rechts, einmal links,
Rechtsherum, das ist nicht schwer.
Noch einmal das schöne Spiel,
Weil es mir so gut gefiel:
Einmal rechts, einmal links,
Linksherum, das ist nicht schwer
Dabei wurde sie immer durchsichtiger, bis das Lied mit ihr verklang.
Icherios überraschte die Einfachheit der Lösung. Das beste Versteck befand sich direkt unter der Nase der Suchenden. Der Weg zum Blutdämon war jedem Menschen im Dorf bekannt und dennoch wusste keiner davon. Die Drehungen im Reim standen für die Abzweigungen in den Gewölben unter dem Schloss. Er brauchte nur eine Karte der Burg, um den Einstieg zu finden. Erleichtert legte er sich ins Bett. Er hatte endlich einen vernünftigen Plan. Morgen würde er den Blutdämon suchen und hoffen, dass er nur eine Legende war. Anschließend musste er herausfinden, wer Zugang zu Maribelles Speisen hatte oder anderweitig die Gelegenheit nutzen konnte, ihr Arsen zu verabreichen. Dadurch würde sich der Kreis der möglichen Täter deutlich eingrenzen lassen.
29
Versammlung
G
Icherios erwachte vor Morgengrauen. Die Eisblumen hatten sich auf das ganze Fenster ausgebreitet. Sein Atem stand als weißes Wölkchen in der Luft. Es kostete ihn Überwindung, seine Füße auf den kalten Boden zu stellen und hastig in seine Kleidung zu schlüpfen. Er wollte den Flurhüter aufsuchen und darum bitten, eine Versammlung einzuberufen. Er brauchte eine Karte der Feste und verspürte kein großes Verlangen, dem Blutdämon alleine gegenüberzutreten.
Kolchin öffnete ihm bereits nach dem ersten leisen Klopfen. Er sah erschöpft aus. Tiefe Ringe unter den Augen deuteten an, dass er in der letzten Nacht nicht geschlafen hatte. Icherios vermutete, dass es in der Beziehung zu seiner Frau kriselte und fühlte sich schuldig, auch wenn er sich einredete, dass die Wahrheit wichtig war. Der Mann nickte ihm kurz zu und ging in den Wohnraum hinüber. Von seiner Frau und dem Kind war nichts zu sehen. Auf dem Sessel lagen Decken. Er hatte dort offenbar die Nacht verbracht.
»Wir haben unsere Probleme«, erklärte Kolchin. »Aber wir werden es schaffen.« Er lächelte traurig.
Icherios konnte in seinem Gesicht die Liebe, die er immer noch für seine Frau empfand, erkennen. Er beneidete ihn um dieses Gefühl der Verbundenheit. Mit einem mitfühlendem Lächeln setzte er sich auf einen der Stühle. »Die Vampire wurden mit Arsen betäubt. Dasselbe Mittel, mit dem Maribelle getötet wurde.«
»Dann war es dieselbe Person?«
Icherios nickte. »Vermutlich, dadurch wird es leichter, ihn zu fangen.«
Kolchin ging unruhig vor dem Kamin auf und ab.
»Ich verstehe, aber warum sollte jemand Maribelle töten wollen? Sie ist seit ihrer Kindheit geistig verwirrt.«
»Was ist mit den Ländereien der Freylungs? Gehen sie bei Lorettas Tod auf ihren Ehemann über oder an Maribelle?«
»Für gewöhnlich an den Gatten.«
»Und wenn nicht? Was, wenn Maribelle die Ländereien erhält?«
Kolchin senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Dann hätte der Fürst ein Motiv. Aber auch der Bürgermeister hätte seiner geisteskranken Tochter niemals etwas vermachen
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